Das große Sterben

MRSA – ein Begriff der schon seit längerem durch die Presse geistert, zu einem Problem in vielen Krankenhäusern und Altenheimen wurde und viele Menschen nachdenklich macht. Dahinter steht ein multiresistentes Bakterium, das bei Patienten Wundinfektionen, Blutvergiftungen und Lungenentzündungen verursacht und gegen bestimmte Antibiotika resistent und deshalb nur schwer zu behandeln ist. Die Folgen können erhöhte Sterblichkeit, längere Krankenhausaufenthalte und damit verbunden höhere Kosten für das Gesundheitswesen sein.

Problem: Tiermast- und Tierzuchtanlagen

Im Oktober 2012 warnte das Deutsches Ärzteblatt vor einem Risiko für Menschen, die in der Nähe von Viehmastanlagen leben. Diese hätten möglicherweise ein erhöhtes Risiko, sich mit „Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus“ (MRSA) zu infizieren. Belegt wurde das durch eine Untersuchung in den Niederlanden.

Die Warnung kam ungefähr zu dem Zeitpunkt, als im Suderburger Rat abschließend über eine Erweiterung der Biogasanlage in Böddenstedt entschieden wurde. Ein Problem dabei: 1.500 Tonnen Hühnertrockenkot werden jährlich herantransportiert und in der Anlage „verfüttert“.
Außerdem sind mehrere große Mastställe für Hühner und Schweine in der Gemeinde Gerdau und angerenzendem Gebiet geplant, was auf starken Wiederstand in Teilen der Bevölkerung trifft.

Das MRSA war bis Ende der 1990er Jahre weitgehend auf Krankenhäuser beschränkt. Seitdem ist der Anteil von in Krankenhäusern erworbenem MRSA gesunken. Das ist auf ein gesteigertes Problembewußtsein und verschiedene Maßnahmen der Mediziner zurückzuführen ist. Aber: das von außerhalb erworbene MRSA, dessen Keime ursprünglich nur in Viehmastanlagen beheimatet waren, ist im gleichen Zeitraum erheblich gestiegen.

Dazu das Ärzteblatt: „Dort (in großen Mast- und Zuchtställen – Red.) sind heute nicht wenige Tiere mit LA-MRSA infiziert. Sie erkranken zwar selten, doch eine Übertragung auf den Menschen wird seit einiger Zeit als latente Gefahr diskutiert. Als gefährdet wurden bisher nur Personen eingestuft, die in Ställen oder Schlachtanlagen arbeiten. Die Erreger werden aber zunehmend auch in der Nasenschleimhaut von Personen nachgewiesen, die keinen direkten Kontakt zu den Tieren hatten.“
Diese wohnen überwiegend in Regionen des Landes, in denen sich viele Viehmastanlagen befinden…

Eine Verdopplung der Schweinedichte steht nach den Niederländischen Berechnungen mit einem Anstieg der LA-MRSA um 25 Prozent in Verbindung. Für die Kälberzucht wurde ein Anstieg um rund 24 Prozent, für Rindermastbetriebe sogar einen Anstieg um 77 Prozent ermittelt.
Wie es zur Übertragung kommt, ist nach wie vor unklar. Neben anderen Haustieren als „Zwischenwirt“ halten Wissenschaftler eine Übertragung über die Luft oder über Abfälle und Trockenkot für vorstellbar. Auch über mit MRSA kontaminierten Rohfleischprodukten könnte der Erreger verbreitet werden.

Ärzte melden sich zu Wort

Nun regt sich auch Widerstand bei vielen niedergelassenen Ärzten. Sie sind in ihren Praxen ebenfalls betroffen und alarmiert über die Zahl von 15-20.000 MRSA-Toten in Deutschland. Ein weiterer Grund ist eine vor kurzem veröffentlichte Studie der Medizinischen Hochschule in Hannover, in der ein massiver Besatz von MRSA-Keimen auf Schlachtgeflügel nachgewiesen wurde.

Die von 22 erstunterzeichnenden Ärzten gegründete Ärzteinitiative veröffentlichte heute folgenden Aufruf in mehreren norddeutschen Zeitungen:

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Neugründung einer Ärzteinitiative gegen Massentierhaltung, Monsterschlachthöfe und MRSA

Ein vielfältiges anderes Denken ist dringend notwendig.
Massentierhaltung und Großschlachthöfe verbessern nicht die Welternährungssituation, sondern verschlechtern sie durch gigantischen Verbrauch der Ressourcen, z. B. Wasser. Nachhaltigkeit statt kurzfristiges Profitdenken ist in fast allen Bereichen der Gesellschaft notwendig.

Wir Ärzte werden in unseren Krankenhäusern und Praxen zunehmend mit MRSA-Erkrankten konfrontiert. Ein Krankheitsbild, das es in dieser Form vor 20 Jahren noch nicht gab. Inzwischen zählen wir ca. 15-20.000 Tote im Jahr – Tendenz steigend. Ein Schwerpunkt dabei ist Nordwest-Deutschland.

Ein Grund ist für uns der exzessive Antibiotika-Einsatz (Metaprophylaxe) in der Massentierhaltung, insgesamt ein Vielfaches mehr, als in der gesamten Humanmedizin.
Dazu passt auch eine jüngst veröffentliche Studie der Medizinischen Hochschule Hannover, die einen massiven Besatz von MRSA-Keimen an Schlachtgeflügel nachweist. Wir werden dieses Thema in die Gesundheitsministerien und in unsere Standesvertretungen bringen.

Es ist Zeit, sich gegen Arroganz und Überheblichkeit der Vertreter von Großprojekten zu wehren.
Weitere Erstunterzeichner liegen dem Bürgermeister von Großenkneten vor.

Erstunterzeichnende:
ViSdP: Dr. Gerd-Ludwig Meyer (Arzt und Landwirt), Dr. G.-L. Meyer, Dr. W. Lotz, Dr. K. Eckert, Prof. B. Best, Dr. M. Freise-Brücking, Dr. E. Brücking, Drs. A. Uhde und J. Uhde, Dr. S. Meyer, Dr. K. Kortendick, Dr. R. Lips, Dr. H.-S. Neumann, Dr. V. Wippe, Dr. M. Breer, Dr. B. Hencke, Dr. M. Sziegehot, Dr. R. Junge, Dr. H. Gleißenberger, Dr. I. Lührs, Dr. P. Sauer, Dr. D. Fuchs, Frau D. Wingdermühle [/tab] [/tabbed]

Der Widerstand gegen Massentierhaltung und Großschlachthöfe wird von vielen bisher durchaus auch kritisch gesehen. Mit Recht?

Schuld daran sind vielleicht die „Parolen“, die viele „Normalbürger“ verschrecken. Nicht jeder möchte auf Fleisch verzichten oder kann astronomische Preise bezahlen. Niemand mag sich vorschreiben lassen, was er mag, was er ißt.

Und es gibt sicher auch viele Tierhalter und -züchter, denen das Wohl ihrer Tier wirklich wichtig ist – auch wenn es viele sind.

Aber eines steht fest: Wir haben da ein Problem, genaugenommen zwei… mit dem großen Sterben.

Insofern ist es gut, dass es seit heute eine Gruppe gibt, die nicht gleich im Verdacht stehen, zu den Radikalen oder Fundamentalisten zu gehören. Mit einer gesellschaftlichen Verbreiterung des Protestes, gegen die unbestreitbaren Probleme in der Massentierhaltung, gibt es vielleicht eine Chance auf einen machbaren, vernünftigen und guten Kompromiss. Auf eine Lösung, bei der vor allem die Gesundheit der Menschen und eine tiergerechte Haltung des einzelnen Tieres im Vordergrund steht.

 

Foto: Larry Rana, Wikipedia

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2 Kommentare

  1. verbraucher Antworten

    Eigentlich ist das Thema viel zu ernst, um von Seiten der Humanmediziner zu Lasten Ihrer Veterinärkollegen zu polarisieren. Wie ernst zeigt dieser Filmbeitrag: http://www.wdr.de/tv/quarks/sendungsbeitraege/2013/0723/005_medikamente_2.jsp
    Dass was in Deutschland gilt,nämlich falsche und zu häufige Verschreiung gilt für die USA unisono: http://www.wdr.de/tv/quarks/sendungsbeitraege/2013/0723/005_medikamente_2.jsp

    2012 sollen in der dt. Humanmedizin rd. 379 Millionen Tagesdosen mit Antibiotika verschrieben worden sein: http://www.animal-health-online.de/gross/2013/04/23/humanmedizin-379-millionen-antibiotika-tagesdosen-in-2012/25261/
    Welche Rolle spielt die Tierhaltung wirklich? http://www.animal-health-online.de/gross/2013/11/13/kommentar-erstens-kommt-es-anders/26702/

  2. Veterinär Antworten

    Das Engagement der Humanmediziner in allen Ehren, aber etwas differenzierter wünschte ich mir die Darstellung vermeintliche Zusammenhänge schon. Sehr gut sind die Zusammenhänge auf diesem Ärzteportal (in den Kommentaren) beschrieben: http://news.doccheck.com/de/28550/mrsa-komm-rein-keim/?utm_source=web&utm_medium=DocCheck+News&utm_campaign=DocCheck+News+Search
    Komisch finde ich, dass die zunehmenden Infektionen in Kliniken nicht auf Livestock-assoziierte MRSA-Keime zurückzuführen sind, sondern ausnahmslos auf CA-Stämme – und die sind „Hausgemacht“. Schlechte Hygiene, falsche Verschreibungen usw., usw.

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