Foto: Ungefährer Größenvergleich Weidetiere – Wolf (Fotomontage)
Mit schwer beschreibbarer Faszination erlebe ich die Wiedereinbürgerung des Wolfes in unserer Region. Dieses „Angsttier“ aus meiner Kindheit ist mit sehr vielen Vorurteilen belegt, mit so vielen Sagen und Geschichten umwoben, die eine spontane, eindeutige Haltung ihm gegenüber nahezu unmöglich machen.
Die Vorstellung, alleine im Wald einem Wolf zu begegnen, bleibt für viele irgendwie unheimlich. Bei dem Gedanken daran stellt sich ein Unwohlsein ein – begründbar ist es nicht. Jeder weiß heute, dass der Wolf für den Menschen in der Regel keine Gefahr bedeutet – aber das Gefühl bleibt.
Trotzdem freue ich mich darüber, dass der Wolf in seinen alten Lebensraum zurückkehrt.
Ein bisschen Vorgeschichte, oder: Hat der „Schöpfer“ mit dem Wolf „Mist gebaut“?
Der Wolf lebt seit frühesten Zeiten mit dem Menschen in Koexistenz. Gleichzeitig galt er immer als ein Sinnbild für „das Böse“, z.B. in der Bibel. Dort wird er dem „guten Hirten“ bildhaft für alles Schlechte: Missbrauch, Habgier, Unersättlichkeit, Gewalttätigkeit, Angriffslust… gegenübergestellt. Erklärbar ist das wahrscheinlich damit, dass der Wolf (neben dem Leoparden) als einziger Fleischfresser in Palästina gelebt hat – bis heute. Als Bewohner der Steppe ging er schon damals nachts auf Beutefang und drang besonders in Dürrezeiten aus Syrien und dem Ostjordanland in das fruchtbare Kulturland ein. Hier konnte er unter den aus Ziegen und Schafen bestehenden Kleinherden beträchtlichen Schaden anrichten und somit die Existenz der Hirten bedrohen.
In unseren Breiten wurde der Wolf erst mit der offenen Wald- und Wiesenweide im 15. Jahrhundert zum „Problem“. Das Vieh wurde zur Mast völlig ungeschützt in den Wald getrieben – der Mensch drang in den Speisesaal des Wolfes ein. Dieser ließ sich die zusätzliche Nahrungsquelle nicht entgehen und so nahm im 16. und 17. Jahrhundert die Jagd auf Isegrimm massiv zu. Das Ziel, ihn auszurotten, gelang letztendlich, zumindestens vorrübergehend…
Die Ausrottung durch den Abschuss des vermutlich letzten deutschen Wolf, im Jahre 1845, war unter den Bedingungen der damalige Zeit vielleicht konsequent. Er galt als „Nahrungskonkurrent“. Die Landbevölkerung lebte unter harten Bedingungen – da war einem das Hemd näher als die Hose – und an Tier- oder Naturschutz garnicht zu denken.
In der Folgezeit wurden Einwanderungsversuche von Wölfen gnadenlos und mit teilweise hysterischen Begleiterscheinungen abgewehrt. Zuletzt erwischte es im Jahre 1948 den „Würger vom Lichtermoor“, dem man mit 1.500 Treibern und 70 Jägern nachstellte.
Danach verschwand der Wolf aus den Schlagzeilen – die innerdeutsche Grenze machte eine Zuwanderung nahezu unmöglich. Hinter der Mauer, in der DDR, wurde aber fleißig weiter Jagd auf ihn gemacht: bis zur Maueröffnung wurden ca. 30 Tiere abgeschossen, die aus Polen und anderen östlichen Regionen eingewandert waren.
Nach dem Fall der Mauer wurde der Wolf 1990 unter strengsten Naturschutz gestellt und konsequenterweise kam dann im Jahre 2000 im Westen der erste Wolfswelpe zur Welt… und mit ihm eine nicht endende Diskussion:
Ist das nun gut so – oder nicht?
Eins wird zumindestens deutlich: dass Argument „Er gehört hier nicht her…“, ist falsch. Der Wolf hätte bei uns durchgängig seinen natürlichen Lebensraum gehabt, wenn ihm der Mensch nicht erbarmungslos nachgestellt hätte.
Auf jeden Fall ist er jetzt da und die steigenden Zahlen zeigen – er bleibt. Was nun?
Drei Probleme gibt es zum Thema Wolf…
… die Politik im Bereich Umwelt- und Naturschutz, die „deutsche Gründlichkeit“ und den Wolf an sich.
Letzterer kann nichts für seine Natur: er ist Tier und Jäger – jagt er nicht, muss er verhungern.
Die Politik wird zunehmend bürokratisch, damit steht sie sich und vernünftigen Lösungen oft selbst im Weg oder versteckt sich hinter Paragraphen.
Die deutsche Gründlichkeit verstärkt diesen Effekt: einmal getroffene Entscheidungen zu überdenken, ändern oder gar zu revidieren ist fast unmöglich oder nicht gewollt.
Und überhaupt müsste man dazu erst einmal jemanden finden, der dass in die Hand nimmt – ein schier unmögliches Unterfangen, das jedenfalls meinen Weidetierhalter, Wolfsbeauftragte und Nabu-Mitglieder in seltener Eintracht.
Weidetierhalter machen mobil
Sie haben sich am 7. Mai 2014 im Gasthaus Dehrmann in Bahnsen zu der Frage getroffen: „Der Wolf ist da, wie sollen wir damit umgehen?“ – die bisher gemachten Erfahrungen sollten ausgetauscht werden.
Eingeladen hatte dazu kurzfristig, und auch nur intern, die Interessengemeinschaft der Weidetierhalter in Nord-Ost-Niedersachsen. Diese besteht aus weiträumig zusammengewürfelten Tierhaltern der Nutztierrassen Schaf, Rind, Gatterwild und Pferd.
Ein Vertreter des Umweltministeriums war – wie fast erwartet – nicht vor Ort, alle Kontaktversuche zum Ministerium in der Sache bisher vergeblich. Darüber sind die Tierhalter sauer – und das zu Recht.
Auch aktive NABU-Mitglieder vor Ort und die Wolfsbeauftragten beklagen die Haltung des Ministeriums. Nur wenn Probleme besprochen und bürokratische Hürden abgebaut werden, sind einvernehmliche Lösungen möglich.
Ein Vorwurf: Es kann nicht sein, dass geschädigte Tierhalter ewig auf Entschädigungen warten müssen, weil für jeden Riss teure und langwierige DNA-Untersuchungen gemacht werden müssen. „Diese Untersuchungen sind teurer als der eigentliche Schaden, das ist auf Dauer nicht sinnvoll“, so Theo Gründjens, Sprecher der Wolfbeauftragten in Niedersachsen.
Positionen und Argumente
Die Rinderhalter fühlen sich von der Politik im Stich gelassen und von der Presse zuwenig berücksichtigt: „Man hört uns an, aber man nimmt uns nicht ernst“. Sie sehen ihre Existenz gefährdet weil die niedersächsische Landespolitik vor den anschwellenden Problemen „in Deckung“ geht.
Belegt durch neueste wissenschaftliche Zahlen argumentieren sie: Bleibt die „Wiedereinbürgerung“ des Wolfs in bisheriger Konsequenz (ohne Konzept für die Zukunft und ohne Regulierung) bestehen, wird es Probleme geben. Und die werden in absehbarer Zeit „aus dem Ruder“ laufen. Auch deshalb fordern sie die 100prozentige Erstattung von Schutzeinrichtungen z.B. für Elektrozäune. Bisher übernimmt das Land 75 Prozent, das sei zu wenig.
„Man kann dem Wolf nicht den roten Teppich ausrollen, ohne ein Konzept für die Zukunft zu haben“, forderte ein mehrfach geschädigter Schafhalter, „wenn jetzt nichts passiert, hören wir auf“.
Dann schilderte er die Vorfälle aus jüngster Vergangenheit in der Gegend von Bederkesa. Eine dort nachgewiesene Wölfin hatte in einer Nacht zwei Lämmer gerissen und ein Schaf verletzt. In einer der Folgenächte fiel sie in eine ca. 25 km entfernte Herde ein und riss mehrere Schafe.
Tage später kam sie zurück, riss weitere vier Schafe und versetzte dabei die Herde in Angst und Schrecken. Ein ganzer Tag wurde gebraucht, um die gruppenweise versprengten, meist trächtigen Tiere wieder einzufangen. In der Folgezeit gab es viele Totgeburten. Zusätzlich kamen sichtlich gestörte Lämmer zur Welt. Mehrere Muttertiere verreckten elendig an abgestorbenen, ungeborenen Lämmern: Sie wurden immer dicker und fielen irgendwann einfach tot um. Einige Stunden später platzten sie förmlich durch die innere Verwesung. „So etwas sollten sich die Wolfsfans einmal ansehen, dann würden sie vielleicht anders denken“, so der Schäfer.
Er hat das für sich verarbeitet und musste damit umgehen, nur eins hat er bis heute noch nicht: eine Entschädigung erhalten. Die Untersuchungen ziehen sich hin. Seine Existenz wird gefährdet, darüber ärgert er sich – zu Recht.
Schäden nehmen zu…
Die direkten und indirekten Schäden durch Wolfsrisse nehmen tatsächlich zu. Das war zu erwarten. Nicht erwartet wurde dagegen der rasche Anstieg des Wolfsbestandes. Die neuesten Hochrechnungen geben zu Denken: in den nächsten 10 Jahren soll der Bestand auf 1.200 Rudel ansteigen. Für 440 Rudel ist in Deutschland ausreichend Platz, ohne dass es zu Problemen kommt – hieß es bisher.
Treten die neuen Prognosen ein, würde es demnach im Jahre 2024 ca. 10.000 Wölfe in Deutschland geben, mit ihnen stiegen natürlich auch die Zahlen der Schadensfälle.
Den Mahnern vor solchen Zahlen – in der Hauptsache Weidetierhalter – wurde bisher Hysterie unterstellt. Sollten sich die neuen Zahlen bestätigen, geben sie den Befürchtungen zum Teil allerdings Recht.
…ist das ein Grund zur „Panikmache“?
Eindeutig nein, denn die Vorkommnisse sind bisher Einzelfälle. Der Eimker Schäfer Gerd Jahnke hütet seine Herde mitten im Wolfsgebiet. Risse – keine. Er pfercht vorschriftsmäßig ein, mit mehrlitzigen Stromzäunen und Beleuchtung. Zusätzlich hat er spezielle Herdenschutzhunde angeschafft. Der Umgang mit ihnen ist nicht einfach und macht neue Probleme – das muss man wissen – aber er hat es bisher im Griff.
Er wusste zu berichten, dass sich das Wild nachts außen am Herdenschutzzaun einfindet. Dort, und in der Nähe der Hunde, fühlt es sich anscheinend sicher.
Trotzdem mahnt er ein Überdenken der Situation an: Entschädigungen müssen kurzfristig gezahlt werden und die Anzahl der Wölfe dürfe nicht übermäßig ansteigen.
Zwei Punkte fehlen
Diese pragmatische Haltung zeigt zwei fehlende Punkte auf: In der Diskussion fehlt die Frage des gesellschaftlichen Nutzens und der Eigenverantwortung bei der Tierhaltung. Der „Schrei“ nach 100prozentigem Ersatz für Schutzeinrichtung spiegelt die Subventions- und Vollkaskomentalität in der Landwirtschaft. Soll Gesellschaftsnutzen hinter den Interessen des Einzelnen zurückstehen?
Jeder Hühnerhalter hat seinen Schaden selbst zu tragen, wenn der Fuchs in den Stall eindringt, oder sich ein Habicht auf die beste Legehenne stürzt. Pech gehabt, Stall sicherer machen und den Hühnerhof gegen Luftangriffe schützen, gilt für den Privatmann.
Ähnliches sollte grundsätzlich auch in der gewerblichen Haltung gelten – jeder hat erst einmal für den Schutz seiner Tiere selbst die Verantwortung.
Natürlich müssen Riss-Schäden durch den Wolf ersetzt werden, wenn er gesellschaftlich gewollt ist – und wenn sie trotz vorbeugendem Schutz entstehen.
Hier könnte man mit einer Bewertung Gerechtigkeit schaffen und die Eigenverantwortung steigern, wenn man die Höhe der Entschädigung an vier Punkten festmacht:
– die Notwendigkeit der Tierhaltung zur Versorgung der Bevölkerung
– eine Sinnhaftigkeit für den Landschafts- und Naturschutz
– eigenverantwortlich erstellte höhere Schutzmaßnahmen für die Tiere
– einen Risikoaufschlag, belegt durch die Statistik der tatsächlichen Wolfsrisse
Vergibt man dafür Faktoren, addiert die auf und multipliziert das dann mit einem tatsächlichen Schaden, erhielte beispielsweise ein Schäfer,
– der die Grundversorgung sichert,
– mit seinen Schafen die Landschaft pflegt und z.B. Deiche schützt,
– besondere Schutzhunde einsetzt
– und trotzdem einem erhöhten Risiko ausgesetzt ist,
einen höheren Ausgleich, als den tatsächlichen Schaden. Damit wäre auch der tägliche, zusätzliche Arbeitsaufwand und erhöhte Schutzvorkehrungen berücksichtigt.
Luxus kostet
Beim Rinderzüchter, der beispielsweise Kobe-Rinder züchtet, ist der Nutzen für die Gesellschaft nicht nachzuvollziehen (das Filet in höchster Qualität kostet „am Tresen“ bis zu 600,- Euro pro kg (!), ansonsten liegt der Preis je nach Art des Fleisches bei knapp unter 100,- bis ca. 300,- Euro – pro kg). Da wäre es durchaus zumutbar, die Mehrkosten auf den Fleischpreis der Reichsten der Reichen umzulegen. Warum sollen hier die Steuergelder des „kleinen Mannes“ für einen Luxus verwendet werden, den sich niemand leisten kann?
Trotzdem würde auch dieser Züchter einen Schaden anteilig erstattet bekommen, wenn er entsprechende Schutzmaßnahmen errichtet hat.
Auch wenn man sich damit nicht unbedingt Freunde macht: Das Gleiche gilt für die Zucht von Rennpferden oder Pferden für das persönliche Hobby. Mit ersteren wird gezockt, die anderen sind obigen Hühnern gleichzusetzen: Privatvergnügen.
Trotzdem auch hier die anteilige Entschädigung, bei entsprechender Vorsorge.
Die Gatterhaltung von Wildtieren ist ein besonderer Fall. Dem Argument des Damwildvertreters „Der Wolf gehört hier nicht her“, könnte man getrost antworten „…und Damwild gehört in den Wald…“
Wo fängt das „Luxusproblem“ an, wo hört es auf? Wann stoßen die Straußenhalter dazu?
Wolf ja, aber nicht als „Heilige Kuh“…
Die Diskussion gleitet ab ins monetäre und überdeckt das eigentliche Problem – das ist kontraproduktiv.
Nochmal: Der Wolf ist da und das ist gut so. Er sollte allerdings nicht zur „Heiligen Kuh“ der Heide werden. Entwickelt er sich weiterhin so prächtig, ist absehbar dass der Bestand über‘s Ziel hinausschiessen wird. Dann müsste zur gegebenen Zeit mit Abschuß reagiert werden können, damit es keine Probleme gibt. Nur dazu fehlen die Gesetze, dazu fehlt der Plan.
Vier Jahre würde es dauern, laut Wolfsbeauftragtem Theo Grüntjens, die Gesetze entsprechend anzupassen, um vorbereitet zu sein. Das ist Aufgabe der Politik, sie darf sich davor nicht verstecken und müsste jetzt – vorbeugend – handeln.
Vorbildlich verhält sich in der Zwischenzeit die Jägerschaft: Ruhe in den eigenen Reihen ist verordnet. Mit umfassenden Informationen und einer aktiven Aufklärungsarbeit ist es in weiten Teilen unter den Jägern gelungen, dass Thema Wolf zu versachlichen.
Daran könnten sich alle anderen ein Beispiel nehmen, denn der Wolf wird bleiben.
Fazit
Der „Schöpfer“ hat keinen „Mist gebaut“, die Natur irrt nicht. Jedes Lebewesen hat seine Darseinsberechtigung. Zweifel kommen mir höchstens abends mal, wenn mich ein Haufen Gnitzen oder Stechmücken überfällt – nicht beim Wolf.
Er hilft den Wildbestand zu regulieren. Damit sinken die Wildschäden in der Landwirtschaft und der Verbiss von nachwachsenden Bäumen: „Wo der Wolf jagt wächst der Wald“.
Die Koexistenz wird aber dauerhaft nur funktionieren, wenn für die vorhandenen Wölfe die natürliche „Speisekammer“ reicht und der Riss von Weidetieren die Ausnahme bleibt.
Aus diesem Grund muss festgelegt werden, wie groß der Wolfsbestand ungefähr werden darf und ab wann eine Regulierung möglich und nötig ist. Die gesetzlichen Vorraussetzung dazu müssen schnellstens geschaffen werden, alles andere ist unverantwortlich und falsch.
Wolfs-Fotos: Theo Grüntjens
Der beste und objektivste Artikel zum Wolfsthema den ich bisher gelesen habe!
Gut geschrieben. Nur 1200 Rudel (Familien) wird es in Deutschland nicht geben. Der Wolf reguliert seinen Bestand selber. Wenn wenig Wild da ist, gibt es auch keinen Nachwuchs. Es wird keine „Überbevölkerung“ des Wolfes geben.