Wolf: Extremer Anstieg der Nutztierrisse – ein fake?

Nach der Tötung eines weiblichen Wolfes aus dem Wolfsterritorium Herzlake, nehmen die rechtlich fragwürdigen und intransparenten Aktivitäten des niedersächsischen Umweltministeriums sowie die Angabe falscher Zahlen weiter zu.

Im politischen Gerangel um den Wolf wird immer wieder von einem „extremen Anstieg der Nutztierrisse“ berichtet. So äußerte sich der SPD-Abgeordnete Marcus Bosse dahingehend, dass allein im Jahr 2020 1.400 Risse verzeichnet worden seien.

Die Wahrheit sieht anders aus:

Nach der öffentlich zur Verfügung stehenden Nutztierrissstatistik wurden im Jahr 2020 insgesamt 358 Fälle als mögliche Wolfsübergriffe gemeldet. Bei 226 wurde ein Wolf als Verursacher nachgewiesen. Dabei kamen 1.083 Tiere zu Tode, 181 wurden verletzt und 80 als vermisst gemeldet. 49 Fälle sind noch in Bearbeitung.
Gerade einmal 12 Prozent dieser 226 Fälle wiesen nach offiziellen Angaben einen Herdenschutz auf. Demnach waren 836 Tiere ungeschützt, als sie vom Wolf gerissen wurden.

Zum Vergleich:

Laut Niedersächsischer Tierseuchenkasse belaufen sich die Anzahl der Tiere, die in der Tierkörperbeseitigung landen, für 2018 auf 15.624 Schafe, 1.459 Ziegen und 132.404 Rinder, was ca. 5 – 6,5Prozent der jeweiligen Bestände beträgt. Dies sind Tiere, die verendet sind (z.B. aufgrund von Krankreit oder schlechten Haltungsbedingungen), tot geboren wurden oder getötet werden mussten, da sie nicht zum Verzehr geeignet waren.

Der NABU fordert daher die Landesregierung auf, Augenmaß und Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die Zahlen walten zu lassen, da nach wie vor unter ein Prozent der Nahrungstiere der heimischen Wölfe Nutztiere sind.

Vom Wolf gerissenes Reh: Wenn der Wolf in seiner natürlichen Umgebung ungestört „Naturfutter“ jagt, bleibt wenig übrig. Bis auf Knochen und Fell wird fast alles verwertet.
Foto: Andreas Paschko

Dennoch wären die meisten Nutztierrisse unnötig, wenn vermehrt auf die fachgerechte Umsetzung von Herdenschutzmaßnahmen statt auf Wolfsabschuss gesetzt würde.
An flächendeckendem Herdenschutz in Wolfsgebieten führt kein Weg vorbei. Der Abschuss von Wölfen verringert die Zahl an Nutztierrissen dagegen nachweislich nicht.

Falschen Wolf totgeschossen…

Für das Territorium Herzlake lag zwar eine Abschussgenehmigung für den Rüden GW1111m vor, am Ende wurde aber der falsche Wolf, nämlich eine womöglich trächtige Fähe geschossen. Auch die Genehmigung selbst ist nach vorliegenden Informationen höchst fragwürdig. Es liegt eine bisher unbekannte Anzahl an Abschussgenehmigungen für Wölfe, die angeblich Herdenschutzmaßnahmen überwunden haben, in verschiedenen Territorien in Niedersachsen vor. „Wir wissen aus anderen Ländern, dass Abschüsse sich sogar negativ auswirken können. Mit dem Abschuss wird die Rudelstruktur zerstört, was zu einem Anstieg von Nutztierrissen durch die verbleibenden Jungtiere führen kann, insbesondere, wenn“, sagt Dr. Holger Buschmann, Landesvorsitzender des NABU Niedersachsen.

Darüber hinaus veröffentlichte Minister Olaf Lies in der vorvergangenen Woche einen erläuternden Erlass zum Umgang mit verletzten oder verunfallten Wölfen als Ergänzung zur aus NABU-Sicht EU-rechtswidrigen Wolfsverordnung. Der Inhalt des Erlasses ist die vereinfachte Tötung von Wölfen durch Jagdberechtigte, beispielsweise nach Verkehrsunfällen ohne Hinzuziehung von Veterinären. „Sie könnte damit ein weiterer Baustein zur Dezimierung der Wolfspopulation sein“, zeigt sich Dr. Buschmann besorgt.

Ebenfalls hat der Landtag unter Gegenstimmen der Grünen-Fraktion dem Antrag für die Aufnahme des Wolfes in das Jagdrecht zugestimmt. Dr. Buschmann hierzu: „Das ist blinder Aktionismus der Regierungskoalition, da dieser nach EU-Recht weiterhin geschützt ist. Weidetierhaltende erfahren dadurch – anders als behauptet – zudem keine Unterstützung. Hier helfen nur finanzielle Fördermittel für Weidetierhaltung und Herdenschutzmaßnahmen.“

Der Wolf ist durch internationale und nationale Gesetze streng geschützt. In der Europäischen Union unterliegt er den Anhängen II, IV und V der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Auf Bundesebene ist der Wolf durch das Bundesnaturschutzgesetz streng geschützt. Er hat damit den höchstmöglichen Schutzstatus.

Dennoch lässt auch dieser hohe Schutzstatus die Entnahme von verhaltensauffälligen Wölfen zu. Dieser Möglichkeit stimmt auch der NABU Niedersachsen ausdrücklich zu. Nur müssen die Entnahmegründe auch im Vorhinein transparent festgestellt und nachprüfbar sein. Dies ist in Niedersachsen derzeit nicht der Fall.

Hintergrundinformationen Projekt „Herdenschutz Niedersachsen“

Es gibt auch positive Aspekte: Konflikte zwischen Wolf und Weidetierhalter können entschärft werden. Das zeigen Projekte wie „Herdenschutz Niedersachsen“. Hier werden Weidetierhaltungen professionell unterstützt: Vor-Ort-Beratung, praktische Unterstützung beim Bau wolfsabweisender Zäune mit geschulten Ehrenamtlichen, wertvolle Netzwerkarbeit und Wissenstransfer mit dem Ziel der Erhaltung von Beweidung bei Wolfspräsenz. Das setzt die flächendeckende fachgerechte Anwendung entsprechender Maßnahmen voraus. 2017 vom NABU Niedersachsen ins Leben gerufen, beteiligt sich im Jahr 2021 auch das Niedersächsische Umweltministerium sowie der WWF und Deutsche Postcode Lotterie an der Finanzierung. Weitere Informationen unter www.herdenschutz-niedersachsen.de.

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