„Kirche bei den Menschen“, das war am 26. Juli dieses Jahres das Motto eines Gottesdienstes im Kirchspiel Gerdau. Etwas mehr als 100 m von einer möglichen Neubautrasse entfernt, versammelten sich Gemeinde und viele Gäste, um unter freiem Himmel auf dem Schützenplatz in Bohlsen einen Feldgottesdienst zu begehen, der von Menschen aus dem Dorf und dem Aktionsbündnis für die Ostheide (AFDO) organisatorisch vorbereitet worden war. Viel Nachdenkliches gab es von Pastor Kardel mit auf den Heimweg. Der Posaunenchor Böddenstedt überahm dabei stimmungsvoll die musikalische Begleitung.
„Christen sind wahrhaft bei ihrer Sache, wenn sie Partei ergreifen für das, was Gottes Sache ist“, führte der Pastor gleich zu Beginn seiner Predigt aus. Dort, wo in unmittelbarer Nähe „ein mächtiger Wirtschaftsweg im wahrsten Sinne des Wortes ge-‚bahnt’ werden könnte, stehen Christen für „das Grundrecht des Lebens, das Gott gab,“ und auch für ein „Grundrecht auf Stille“ ein.
Bereits am 26. April d. J. wurde in Eimke ein erster Gottesdienst gefeiert, der die Problematik der westlichen Trasse in der Samtgemeinde Suderburg zum Inhalt hatte. Genau am Tage des Tschernobyl-Desasters vor 29 Jahren stellte sich wie auch am Sonntag die Frage nach der Verantwortung und nach den Grenzen unseres menschlichen Tuns und Handelns.
Pastor Kardel bezog sich auf die Schöpfungsgeschichte und führte aus, dass sie „allen gut tut, Lebensraum und Lebensgrundlage zugleich sei“. Zwar sei sie für uns nicht nachweisbar, aber „sie produziere auch keinen Müll und Abfall, alles werde verwertet und fließe wieder in einen Kreislauf, der dem Leben diene“. Weltlich betrachtet, ist das der Grundgedanke der Natur, es entsteht etwas, das bei seinem Absterben wieder Grundlage für neues Leben ist. Diese Idee muss man erst einmal verinnerlichen, bevor der Mensch daran geht, selbst Schöpfer zu werden. „Sind sich die Menschen der Freiheit des Handelns und ihrer Grenzen bewusst?“, fragte der Pastor weiter. Übertrage man die Schöpfungsidee in eine heutige Firmenhierarchie, dann sei Gott der Firmenboss und die Poliiker, Manager, Unternehmer seien seine Abteilungsleiter. „Haben sie sein Firmenkonzept, seine Geschäftsidee verstanden, könnte er heute noch Vertrauen in seine Untergebenen haben?“ Gerät doch heute immer mehr der Gedanke der Nachhaltigkeit unseres menschlichen Tuns und Handelns aus dem Blick, aber Kritiker eben dieses Wirtschaftens fordern diese Nachhaltigkeit zunehmend vehement ein. „Wirtschaftliches Wachstum soll Segen und kein Schaden sein, es soll bewahren und der Allgemeinheit zu Dienste sein. Wirtschaft, Transport und Verkehr sind kein Selbstzweck“, so Pastor Kardel. „Wenn aber Wirtschaft und Fortschritt zu Göttern werden, denen wir dienen und die uns sagen, wo es langgeht, seien Grenzen überschritten“, predigte er weiter.
Wenn Trassen 10 Min. Zeitgewinn versprechen, wenn Lebensräume gestört oder zerstört werden, hätten Christen ihre Stimme zu erheben. Er betonte, dass Menschen ein Recht auf einen Erholungsraum und Ruhe hätten, dass Lärm krank mache. Der Industrie würde oft mit dem Totschlagargument freie Bahn gegeben, man dürfe nichts tun, was der Wirtschaft schade. Da aber „grundlegende Schutzgüter des Lebens gefährdet seien, ist Kirche gefragt“ und damit ist sie in Bohlsen vor Ort. „Fortschritt muss aber einen dienenden und bewahrenden Charakter besitzen“, was bei einem „Schnitt durch die Landschaft“ in Form einer Neubautrasse fraglich ist. Es könne auch nicht darum gehen, das St.-Florians-Prinzip walten zu lassen, wenn anderen eine Trasse vor die Nase gesetzt werde, sondern die Entscheider müssen die Zukunft ökologisch verantworten und gestalten, sie müssen darauf achten, dass ihre Entscheidung „bewahrt und dem Leben dient“.
Zu dem weltlichen Thema des Gottesdienstes passte auch das Altarkreuz, das durchaus provokant aus dem allseits sichtbaren Widerstandskreuz der Trassengegner gestaltet war. Provozierend ist auch die Meldung in der AZ vom 28.07. zum Diskussionstand im Dialogforum und der Trassenkonzeption des Verkehrsclubs Deutschland, seiner Anhänger sowie von Herrn Dr. Breimeier. Dieser Vorschlag ist weder ökologisch noch konzeptionell im Speckgürtel Hamburgs und der Elbtalaue darstellbar, noch ist er zum Netz der DB kompatibel, weil er mit seinen Doppelstock-Wagen einen Solitär darstellt, der nur zwischen Hamburg und Wittenberge fahren kann. Außerdem sei allen Befürwortetern der Breimeier-Lösung wie auch der übrigen Neubautrassen der Gedankengang des Gerdauer Pastors anempfohlen, um ihren Lösungsvorschlag daran zu messen.
F. Kaune
Schriftführer & Pressesprecher der BI
Aktionsbündnis Für Die Ostheide