Kleine Fluchten – Als deutscher „Refugee“ in Ägypten

Abflug ins Ungewisse…

Er ist dunkel und kalt. Der Morgen, der mich am 25. November 2016, nach unruhigem Schlaf, um 6.00 Uhr morgens empfängt, ist ungemütlich. Und da war ja noch was…
Ich fliege nach Kairo heute und ein Anflug von Panik kommt auf: Muss das nun wirklich sein? Kann ich mich nicht einfach umdrehen und weiterschlafen?

Könnte ich…
Aber ich will weg hier, einfach nur weg. Ich will hier raus!
Weg von eineinhalb Jahren in der Flüchtlingshilfe,
weg von Selbstausbeutung, Selbsverleugnung, der Tendenz zur Selbstaufgabe.
Krach in der Familie, Partnerschaftskrieg, jahrelanger Kampf um Haus und Hof und alte Lasten:
Das alles ist mir zuviel geworden. Es reicht.
Ich habe eine liebe Freundin in Ägypten, 6th October. Wir chatten und telefonieren täglich.
Sie lebt dort mit zwei Brüdern in einer Wohnung der Familie. Alle sind aus Syrien dorthin geflüchtet.
Sie hat mich schon vor einem halben Jahr eingeladen zu kommen. Ich hab es versprochen und da fliege ich jetzt hin.
408,60 € monatlich, mein Gehalt aus meinem Minijob bei der ZEITUNG, das muss reichen – das Leben ist billig in Ägypten. In Deutschland reicht es damit hinten und vorne nicht: HartzIV-Niveau.
Den Flugpreis, ca. 380 €, habe ich noch irgendwie zusammengekratzt – nun kann’s losgehen…

Ich habe panische Angst vor dem Flug. Außer einem kurzen Rundflug vor 35 Jahren in einem klapprigen Sportflugzeug über Rothenburg ob der Tauber, habe ich noch nie in einem Flugzeug gesessen. Und damals hatte ich noch nicht diese verdammte Höhenangst, die sich mit zunehmendem Alter eingeschlichen hat und bei mir Bauchkrämpfe und ungute Gefühle hervorruft, wenn ich mich oberhalb des ersten Stockwerks befinde. Ich und fliegen?

Sicherheitshalber werfe ich eine halbe Pille ein. Die hat der Doc mir verschrieben, sie soll mich beruhigen. Nach einer halben Stunde beginnt sie tatsächlich zu wirken.
Deutlich entspannt kontrolliere ich noch einmal Ticket, Pass und Gepäck und mach mich auf den Weg zum Suderburger Bahnhof. Der ist in kalten Nebel eingehüllt, alles wirkt irgendwie unwirklich.
Dann geht es mit dem Metronom nach Hannover.

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In Langenhagen ist erstmal Schluß. Der Anschlußzug zum Flughafen fällt wegen einer Streckenstörung aus. Auch der angekündigte nächste kommt nicht.
So mache ich mich, durchgefroren vom zugigen Bahnhof und ziemlich stinkig, mit einem Taxi auf den Weg, um es noch halbwegs pünktlich zum Check-in zu schaffen.

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Lange Schlangen vor dem Schalter der Türkisch Airline. Vor mir Menschen mit Unmengen von Gepäck. Riesige Koffer, Sperrgüter aller Art… niemals kann ein Flugzeug mit diesen Massen vom Boden abheben…

Kurze Panikatacke – aber ich behalte mich im Griff.

Sturmfeuerzeuge sind auf Flugreisen verboten, warum auch immer. Meines befindet sich im Handgepäck und sorgt dafür, dass man mich aussondert: Du kommst hier nicht rein.
Nachdem es im Flughafen gegen Pfand hinterlegt ist – schließlich war es ein Geschenk eines lieben Freundes – muss ich noch einmal durch die Gepäckkontrolle. Das ist zwar nervig, aber ich bin beschäftigt und die Gedanken sind nicht beim Fliegen.

Sie kommen zurück in der Boarding-Zone. Angesichts des Fliegers wird mir mulmig und die zweite Hälfte der Pille muss her.


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Türkisch Airline fliegt pünktlich, dafür sind sie bekannt – so heißt es. Und so ernte ich böse Blicke und Stirnrunzeln, als ich im letzten Moment überflüssigerweise dann doch nochmal zum Klo muss. Als Letzter betrete ich anschließend das Flugzeug in dem emsiges Treiben herrscht:
Gepäck wird verstaut, Plätze werden eingenommen, es ist ziemlich eng. Das also auch noch…

Mir kommt zugute, das die nette Dame beim Check-In meinen Gemütszustand anscheinend recht gut erkannt hat. Mit mildem Lächeln und mitleidsvollem Blick versprach sie mir einen guten Platz – zum Gang hin.
Und er ist wirklich gut, mit ausreichend Fußraum, einem freiem Platz neben mir und einer netten Hundezüchterin auf dem Fensterplatz. Sie züchtet deutsche Schäferhunde und ist auf dem Weg nach Israel – einen Welpen im Frachtraum.

Nach einigen Minuten geht es los: Die Motoren jaulen, der Flieger bewegt sich und rollt zum Startplatz. Er startet direkt durch und mir wird schlagartig klar, dass ich nun nicht mehr aussteigen kann. Der Nebel weicht und schlagartig wird der Tag zur Realität…
Schicksalsergeben schließe ich die Augen und es geschieht ein Wunder: Fliegen ist toll!
Die Beschleunigung ist faszinierend, das Abheben ein irres Gefühl, jegliche Angst plötzlich verschwunden.
Ich fange an die Reise zu genießen und beglückwünsche mich innerlich zu meinem Entschluß dazu. Hast du gut gemacht…

Bald sind wir auf Reisehöhe angekommen und die Wolkenschicht liegt wie eine riesige Watte- oder Schneefläche tief unter uns.
Ich kann mich daran nicht sattsehen und erinnere mich an ein Gespräch mit einer Bekannten vor einigen Tagen. Sie hat versucht mir zu erklären, dass es die Angst vor der Höhe nicht wirklich gibt. Es sei vielmehr eine Angst vor dem Fallen.
Ich habe ihr das nicht wirklich geglaubt und irgendwie war es mir auch egal wovor ich letztlich Angst hatte, aber sie hat recht: Stehe ich auf einem Balkon, realisiere ich die Höhe und habe Angst vor dem Fall in die Tiefe. Ein Flugzeugsessel ist maximal so hoch wie ein Küchenstuhl – mit der Vorstellung, von einem Sturz von ihm, kann ich umgehen…

Ich beglückwünsche mich ein zweites Mal: Fliegen ist toll…

 

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Istanbul

Und darmit fliegt man nun… Bei der Landung entpuppt sich so ein Flügel doch als recht fragil – und erinnerte mich irgendwie an meinen Stabilbaukasten aus Kindertagen. (Dieses und das folgende Foto entstand auf einem meiner späteren Flüge)

Nach drei oder vier(?) Stunden Zwischenlandung in Istanbul. Das Zeitgefühl ist durch die Zeitzonen völlig im Eimer. Andere Zeiten in Deutschland, in der Türkei und später auch in Ägypten.
Wie lange sind wir jetzt tatsächlich geflogen? Muss ich vor- oder zurückrechnen? Wann kommen wir  (auf welche Zeitzone bezogen?) an…
Das geht mir eine Weile durch den Kopf, aber wofür ist es eigentlich wichtig? Wir kommen an, das ist wichtig.

Der Flughafen in Istanbul ist monströs. Ich brauche über eine halbe Stunde vom Ankunft- bis zum Abflugterminal. Das Handgepäck drückt und ist für diese Strecke viel zu schwer. Wieso schleppt man eigentlich immer soviel Zeugs mit sich rum?
Ich verfluche meinen Geiz, nicht doch so ein Rollköfferchen angeschafft zu haben…

Draußen, auf dem Flugplatz wimmelt es nur so von Flugzeugen und Fahrzeugen, es herrscht ein unglaublicher Betrieb. Aber irgendjemand scheint die Übersicht zu behalten. Hoffentlich.


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Auch in der Boardingzone herrscht reger Betrieb. Hier wird deutlich, dass es nun weiter in den orientalischen Teil der Welt geht. Die Gesichter sehen anders aus und teilweise tragen die Menschen traditionelle Kleidung. Das arabische Stimmengewirr klingt rauh und forsch, dazu eine ca. 30-köpfige japanische Reisegruppe, die eng zusammen hockt. Ihr Schnattern und Kichern, das auch später im Flieger nicht abreißt, füllt den Rest des Raumes.

Plötzlich türkische Security im Raum. Leicht genervt, mit strengem Gesicht werden alle Passagiere energisch aus dem Raum gedrängt. Eine Tischreihe wird zur Blockade des Raumes aufgestellt, durch einen schmalen Durchlass dürfen wir einzeln wieder rein. Die Pässe werden per Handy gescannt, die Daten per Kabel in ein imaginäres System eingespeist.

Stimmt, da war ja vor kurzem dieser Anschlag am Flughafen in Istanbul und die Sicherheitskräfte scheinen vorsichtig geworden zu sein. Nur eines verstehe ich nicht so ganz: Wieso wird das Handgepäck nicht kontrolliert? Auf meinem Gang durch den Flughafen hätte mir jeder etwas zustecken können, was ich dann unbemerkt mit ins Fleugzeug nehmen könnte…

Der Abflug verzögert sich und inzwischen ist es dunkel geworden. Die Fahrt zum Rollfeld dauert ewig. Gefühlt fahren wir mit dem Flieger quer durch die Stadt. Ganz nahe kommen wir einigen Wohnblocks und anderen Gebäuden. Auf dem Rollfeld reihen wir uns in eine Schlange von wartenden Flugzeuge ein, die im 2-3-Minuten-Takt starten. Dann geht es irgendwann los – mit Vollgas ins Dunkle…

Das Mittelmeer liegt fast schwarz unter uns. Vor der Küste Ägyptens sind gut erkennbar viele Schiffe auf dem Wasser – leider nicht zu fotografieren.

Der Landeanflug auf Kairo beginnt und wir fliegen in niedriger Höhe ins Nil-Delta ein.
Das, von dem ich bisher angenommen hatte, dass es sich um Grünflächen für Ackerbau und Viehzucht handelt, entpuppt sich bei Nacht als dicht besiedelt und hell erleuchtet: Straßen, Häuser, Autos…

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Die Scenerie geht übergangslos in die Metropole Kairo über – und der Blick ist atemberaubend.
Ich bedaure, keinen Fensterplatz zu haben, denn von Horizont zu Horizont erstreckt sich ein Lichtermeer von Häusern. Die Straßen sind gut sichtbar voll mit Autos, denn es ist gerade Rush-hour (ein Permanentzustand, wie ich heute weiß)

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Gefühlt auf „Schornsteinhöhe“ dreht der türkische Pilot im Schrittempo eine Runde über der Stadt.

Ein unglaubliches Erlebnis – besonders das mehrfache Durchsacken aufgrund der geringen Geschwindigkeit…

Der Pilot erklärt lispelnd – und mit überdeutlich türkischem Akzent – auf Englisch die nachfolgende Landung. Die Nummer ist fernsehreif.

Sehr zum Missfallen der türkischen Stewardess kann ich mir ein breites Grinsen nicht verkneifen, denn irgendwie geht mir „Sketch Up“ mit Dieter Krebs nicht aus dem Sinn…

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Ankunft in Ägypten

Wir landen sanft auf dem Kairoer Flughafen. Auf dessen Außenareal wird an allen Ecken gebaut. Die Ägypter wollen Kairo zum größten Drehkreuz des Orients entwickeln. Die Gesamtkapazität des Flughafens liegt heute bei weit über 20 Millionen Passagieren im Jahr, wovon das neue Terminal 3 (mit 164.000 Quadratmeter überdachter Fläche) alleine 11 Millionen bewältigt.

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Am Rande: Die Bauzeit dieses Terminals betrug beeindruckende 5 Jahre. Alles ist modern, großzügig und sauber. Alles funktioniert…
Der erste Spatenstich am neuen BER war 2006 – und nichts funktioniert.
Aber das gehört wohl nicht hierher…

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Ich genieße die horizontale „Rolltreppe“ (Fahrsteig), mittels der der Kilometer bis zur Ankunftshalle mühelos überbrückt werden kann.
Warum also einen Rollkoffer kaufen? Ich beglückwünsche mich ein drittes Mal…

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„Germany?“ Ein Zauberwort in Ägypten. Amerikaner und Deutsche sind traditionell beliebt in diesem Land. Die Deutschen haben dabei inzwischen sogar die Nase vorn. Sie genießen besonderen Respekt, was vermutlich auf das Flüchtlingsgeschehen hierzulande zurückzuführen ist.
Auf dem Flughafen kann ich das erstmalig erleben: Alle strahlen mich an, überall werde ich durchgewunken. Mit schlechtem Gewissen passiere ich so den Zoll, wohlwissend, dass eine der beiden Flaschen Wein im Koffer eine zuviel ist…

Die Kofferausgabe dauert. Als meiner auf dem Laufband an mir vorbeiflitzt und ich daneben greife, hechtet ein junger Ägypter hinterher und überreicht ihn mir freudestrahlend.

Ich bin (fast) gerührt und fühle mich ganz plötzlich und irgendwie gut aufgehoben in diesem Land…

Fortsetzung folgt

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