„Keine Bürgerschelte bitte…“ – ein Kommentar

Als Bürgermeister Hans-Hermann Hoff das sagte, war es eigentlich schon zu spät…
In der Fragestunde der Bauernrechnung in Suderburg war es zu einem überdenkenswürdigen Vorfall gekommen.

Rüdiger Lilije stellte, in der Reihe der Bürger sitzend, die Frage, wie lange es sich Rat und Verwaltung noch gefallen lassen wolle, sich in Leserbriefen a la „Suderburg schröpft Studierende“ vom 30.12.2013 angreifen zu lassen – und das auch noch auf der Seite 2 der AZ. Wann man endlich etwas gegen derartige Schreiben unternehmen wolle. Er forderte Konsequenzen.
Wie so oft, macht der Ton die Musik – und die Frage war in Ton und Vehemenz derart heftig gestellt, das bei einigen der Verdacht aufkam: hier fragt nicht der Bürger Lilije, sondern ein verdrossener Verwaltungsmann.

Als Leserbriefschreiber Borvin Wulf für eine Antwort um das Mikrofon bat, setzte Samtgemeindebürgermeister Friedhelm Schulz mit einer bissigen Bemerkung noch einen drauf: „Aber nur wenn Sie in der Lage sind eine kurze Antwort zu geben, statt wie üblich lange Reden zu halten…“ – der Rest ging in allgemeiner Unruhe und Beifall unter.
Kurzfristig herrschte eine Art Pogromstimmung im Saal und spätestens in diesem Moment sollte dem Mitbürger Wulf klar geworden sein, dass seine Leserbriefe nicht immer auf uneingeschränkte Zustimmung in Teilen der Bevölkerung treffen.
Dabei – und das ist auch noch wichtig, dürfte einem Großteil der Anwesenden der Inhalt des angesprochenen Leserbriefes überhaupt nicht bekannt gewesen sein, denn viele hatten ihn sicher gar nicht gelesen.

Aber vorsicht! Selbst wenn das alles der Fall ist: Es kann auf keinen Fall angehen, das unsere Verwaltung einen solchen Rahmen nutzt, um Mitbürger zu diskreditieren oder mundtot zu machen. Dagegen haben die Väter des Grundgesetzes den Paragraphen Artikel  5 gesetzt. Der garantiert seither das Recht auf freie Meinungsäußerung – und zwar jedem!

In diese Richtung ging auch die Antwort von Bürgermeister Hoff. Er wies auf die Pressefreiheit hin und darauf, dass die Gemeinde sich gegebenenfalls wehren kann. Sie würde es auch tun, wenn es angebracht wäre.

Für die Platzierung in besagter Ausgabe könne er nichts, so Wulf bei seiner Antwort. Es läge im Ermessen einer Zeitung, ob, wo und wie sie Meinungen abdruckt. Der richtige Adressat der Kritik sei hier die AZ, meinte er, und wunderte sich darüber, warum die Gemeinde sich so besonders an der Platzierung aufhängt.
Inhaltliche Überlegungen anzustellen, ob es richtig und sozial angemessen ist dass man Studierende mit einer Zweitwohnsteuer belegt, hält Wulf für legitim – und nur um diese Fragestellung sei es in seinem Leserbrief gegangen.

Wie schon gesagt: Der Ton macht die Musik und im Gesamt-Orchester spielt Friedhelm Schulz schon seit Längerem gerne mal die Pauke. Mit Sätzen wie z.B. in seiner „Neujahrsansprache“ machte er selbst kürzlich ein Fass auf:

[tabbed tabs=“Auszug der ‚Neujahrsansprache‘ vom 31.12.2013 auf www.suderburg.de“] [tab]

Ich bin davon überzeugt, dass die ständigen Versuche einiger sich die Finger wund schreibender Herren aus den Gemeinden Suderburg und Gerdau, diese positive Entwicklung zu stoppen und einen Keil zwischen den immer besser zusammenarbeitenden Ratsfraktionen und Ratskollegen zu treiben, keinen Erfolg haben werden. Unsere Bürger können sehr gut unterscheiden, ob eine öffentliche Kritik gerechtfertigt ist – oder es dabei lediglich um boshafte Miesmachereien, Geltungsbedürfnis bzw. gekränkte Eitelkeiten von Personen geht, die selber nicht bereit sind, politische Verantwortung zu übernehmen – und den Herausforderungen unserer sehr schnelllebig gewordenen Zeit offensichtlich auch nicht mehr so ganz gewachsen sind.

Die nachfolgende Lebensweisheit bringt es aus meiner Sicht recht gut auf den Punkt: Wenn die Klügeren nachgeben, regieren die Dummköpfe die Welt (Jean Claude Riber). [/tab] [/tabbed]

Das passt ins Bild und damit präsentiert sich der Samtgemeindebürgermeister als dünnhäutig und wundgescheuert, und eine derart ins Persönliche abgleitende Kritik steht ihm nicht gut. Als Verwaltungsleiter sollte er in der Lage sein sachlich zu bleiben. Er hätte gute Argumente:

Suderburg „versüßt“ seinen Studenten die Anmeldung des 1. Wohnsitzes mit einer „Wohnsitzprämie“ in Höhe von 250 Euro. Die erhalten sie in Form von Tank-, Einkaufs- und Verzehrgutscheinen. Die Gutscheine sind bei der Anmeldung im Rathaus erhältlich und können bei allen entsprechenden Unternehmen in der Samtgemeinde Suderburg vorgelegt, abgestempelt und später im Einwohnermeldeamt unbürokratische eingelöst werden. Damit werden die Mehrkosten, die ggf. durch den ersten Wohnsitz entstehen, zum Großteil aufgefangen.

Das hätte man – wahrscheinlich auch an gleicher Stelle – dem Leserbrief sachlich entgegenhalten können und dem Schreiber damit allen Wind aus den Segeln genommen.

Dazu, wie es jetzt gelaufen ist, fällt mir nur eine (weniger provokante) Lebensweisheit ein:
„Vergewissere dich, wenn du die Meinung eines anderen zurückweist, dass du wirklich nur die Meinung zurückweist, nicht den Menschen“.

Andreas Paschko

 

Zur Vervollständigung nachgereicht: Hier der Text des umstrittenen Leserbriefes vom 30.12.2013 in der AZ

[tabbed tabs=“Leserbrief“] [tab]

Suderburg schröpft Studierende
Dort, wo Menschen, die in der Regel bereits eh nicht viel Geld in der Tasche oder auf dem Konto haben, immer noch mehr abgenommen werden soll (Stichwort: Steuer- und Abgabenerhöhungen sowie Kürzungen sozialer Leistungen), geht’s irgendwann ans „Eingemachte“: Was Suderburg aktuell anbelangt, will ich hier nur einen Bereich ans dem „Giftlisten“-Katalog herausgreifen: Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken oder den Mund zu diesem Tagesordnungspunkt aufzumachen, wurde für die an der Ostfalia-Hochschule Studierenden und deshalb hier Wohnenden parteiübergreifend eine Erhöhung der Zweitwohnsitzsteuer beschlossen. Den wohlstandssaturierten Ratsherren und -damen scheint unbekannt zu sein, dass die Mehrzahl der an Hochschulen Studierenden nicht aus begüterten Verhältnissen kommen; dass kaum einer von ihnen neben dem Studium sich finanziell was dazuverdienen kann, weil die menschenfeindliche Bachelor-/Master-Struktur des Studiums die Studierenden unter einen unglaublichen Stress und Zeitdruck zwingt; dass viele von ihnen Pendler zwischen Studienort und heimatlichem Erstwohnsitz sind, weil sich dort ihr eigentliches gewachsenes soziales Umfeld befindet. Es ist deshalb unsensibel und arrogant, wenn Suderburgs Gemeindedirektor Friedhelm Schulz erklärt, die Studierenden könnten ihren Erstwohnsitz ja nach Suderburg verlegen, dann bräuchten sie auch keine Zweitwohnsitzsteuer zu zahlen.

Darüber hinaus lassen sowohl Friedhelm Schulz als auch sämtliche Ratsdamen und -herren außer acht, dass es unter der Großen Koalition, obgleich längst überfällig, keine BAföG-Erhöhung geben wird, und dass Studierende, soweit sie in Suderburg ein Mietzimmer als Zweitwohnsitz heben, bereits doppelte Miete zahlen, die Vermieter als Einkommenssteuer versteuern müssen, was – unterm Strich – auch dem Gemeindeetat zugute kommt. Sinngemäß das Gleiche betrifft die Tatsache, dass die Studierenden Getränke, Lebens-, Genussmittel in Suderburg einkaufen, was zur Erhöhung der Kaufkraft des Ortes beiträgt. Suderburg sollte stolz darauf sein, dass es eine Hochschule am Ort hat, die zu einem erheblichen Imagegewinn des Ortes beiträgt. Ändere nicht-universitäre Orte würden sich ihre zehn Finger nach so etwas lecken und die Studierenden nicht auch noch mit einer Zweitwohnsitzsteuer quälen und vergraulen
Borvin Wulf,
Suderburg [/tab] [/tabbed]

 

6 Kommentare

  1. WB

    Sehr geehrter Herr Lilje,

    willkommen im Club.
    Ich bin gespannt auf die angekündigten Leserbriefe und Kommentare eines Bürgers und Verwaltungsmanns. Eine Zensur wird sicher nicht stattfinden, schon gar nicht wenn die Sache im Vordergrund steht. Die freie Meinungsäußerung ist ein hohes Gut.
    Nur, Fragen sollten schon in der richtigen Umgebung gestellt werden. Gerade Sie, als Verwaltungsmann, sollten doch am besten wissen, dass eine Bauernrechnung keine Ratssitzung ist.
    Vielleicht fangen Sie gleich an und klären uns alle über den Beitrag von Herrn Helmut Bausch auf?

  2. ap Autor des Beitrags

    1. Für die fehlerhafte Schreibweise des Namens bitte ich um Entschuldigung, das war keine Absicht und er ist jetzt in allen Artikeln berichtigt.
    2. Selbstverständlich muss es natürlich Artikel 5 heißen.
    3. Um Verwirrungen zu vermeiden: der Text des besagten Leserbriefes ist unter dem Artikel veröffentlicht und wurde mir als vom 30.12. stammend übermittelt.
    Ich habe das jetzt auf AZ-online nachgeprüft: er wurde tatsächlich am 28.12. veröffentlicht.
    Bis hier hin: Chapeau!

    Aber nun bitte nichts in den Artikel hinein interpretieren: Es steht drin, dass bei einigen „der Verdacht aufkam“ – und dieser Verdacht wurde mir gegenüber von mehreren Besuchern geäußert.

    Ein bischen merkwürdig: Auf der Veranstaltung machte sich der Kommentator quasi zum Verteidiger von Rat und Verwaltung, will jetzt mit der Verwaltung aber nichts zu tun haben: „Verknüpfung … scheidet … aus“.
    Anschließend stellt er sich „für das Erreichte“ aber wieder an ihre Seite. Was denn nun?
    Andreas Paschko

  3. Rüdiger Lilje

    Meine Person wird wohl vom Berichtverfasser etwas überbewertet. An der Bauernrechnung Suderburg habe ich als Bürger aus dem Fastenberg 16 zum ersten Mal teilgenommen, mich entsprechend vorgestellt und zum ersten Mal eine Frage an den Rat der Gemeinde Suderburg gestellt. Da der Bericht schon auf den falschen Leserbrief Bezug nimmt, kann er eigentlich inhaltlich auch nur oftmals fehlerhaft sein. Richtig ist daran, dass jedem das Recht auf freie Meinungsäußerung zusteht. Also auch Rüdiger Lilje aus dem Fastenberg 16. Eine freie Presse sollte darin nicht versuchen etwas hineinzuinterpretieren. Richtig muss es natürlich Artikel 5 und nicht § 5 unseres Grundgesetzes heißen. Eine Verknüpfung zur Verwaltung scheidet doch schon aus, weil ich weder für Steuern zuständig bin, noch sich mir die Frage stellt, warum ich als Verwaltungsmann bei dem in 2013 erreichten verdrossen sein sollte. Nun aber zum eigentlichen Thema: Es geht nicht um den Artikel in der Fassung vom 30.12.2013, der dem Bericht beigefügt ist, sondern um den Leserbrief vom 28.12.2013 mit der Anmerkung, dass sich der Rat Gedanken machen sollte, weil es Herr Wulf mittlerweile nun schon auf die Seite 2 der AZ gebracht hat. Im Artikel vom 28.12.2013 wird von wohlstandssaturierten Ratsherren und -damen von Herrn Wulf geschrieben. Ich habe darauf hin die Frage an den Rat gestellt, ob sich dieser dieses weiterhin gefallen lassen möchte oder seine Ehre verletzt sieht. Diese Frage erlaubte ich mir, weil die grundgesetzliche Meinungsfreiheit auch seine Grenzen findet. Und zwar in Artikel 5 Absatz 2 selbst, der Schrankentheorie des Bundesverfassungsgerichts bei konkurierenden Grundrechten sowie der Grundrechtsverwirkung nach Artikel 18. Zu den Schranken des Absatzes 2 gehört unter anderem das Recht der persönlichen Ehre. Meine gestellte Frage wurde weder vom Gemeindedirektor noch dem Gemeinderat selbst beantwortet, so dass ich davon ausgehe, dass wohl keine Ehrverletzung gesehen oder diese hingenommen wird. Herr Wulf hat in seiner Erklärung nicht mit einem Wort auf die Bezeichnung des Rates Bezug genommen. Aufgrund der starken Unterstützung aus dem Saal fragte ich aber nicht weiter nach, weil mich die starke Unterstützung meiner Suderburger Mitbürger sehr erfreute. Der danach folgende Beitrag von Helmut Bausch mit Diskussionen wird im Bericht nicht näher erwähnt. Das finde ich eigentlich schade, weil er schon viel länger Suderburger ist als ich und ehrenamtlich meiner Person um einiges überlegen ist. Das ich wirklich nicht wichtig bin, ist schon daran zu erkennen, dass der Berichtverfasser nicht einmal meinen Namen seit meiner kurzen Zeit hier in Suderburg richtig schreiben kann. Ich werde mir also auch zukünftig als Bürger der Gemeinde Suderburg das Recht für Fragen nehmen, Leserbriefe schreiben und ggfs. auch derartige Berichte kommentieren. Übrigens rufen heftige Leserbriefe bei mir privat auch heftige Reaktionen vor. Vollinhaltlich möchte ich abschließend noch einmal auf den tollen Leserbrief von Michael Gaede in ähnlicher Sache vor einiger Zeit hinweisen.
    Rüdiger Lilje, Fastenberg 16, Suderburg

  4. Volker Leskien

    Das schwarze Schaf

    In einer Herde irgendwo von lauter weißen Schafen.
    die sich zum Fressen auf einer Weide trafen,
    sah ich ein schwarzes Schaf einst stehen.
    Es wollt nicht mit den anderen gehen.

    Es spürte, dass es anders war.
    Seit der Geburt war ihm das klar.
    So stand das Schaf da, ganz allein,
    war stolz darauf, anders zu sein.

    Es ließ seinen Blick wandern
    von einem Schaf zum andern.
    Es wünschte sich auch einen Freund,
    hat es mit allen gut gemeint
    und fühlte sich dabei allein.

    Es ist nicht leicht, anders zu sein.
    Doch aus den Augenwinkeln sah
    das schwarze Schaf am Waldrand da
    den Wolf mit seinen Leuten stehen
    und lechzend nach den Schafen sehen.

    Das schwarze Schaf dachte: Was mach ich nur?
    Die weißen Schafe sind so stur.
    Werden sie nun auf mich hören,
    denken sie, ich will nur stören?

    Wir alle sind jetzt in Gefahr.
    Dem schwarzen Schaf war das schon klar.
    Das schwarze Schaf lief nun zum Hund.
    Bei dem war der Verstand gesund.

    Ganz mutig stieß den Hund es an.
    Das hatte es noch nie getan.
    Der Hund erkannte die Gefahr,
    die dort am Waldesrande war.

    Mit lautem, wütendem Gebell
    erschreckte er die Herde schnell,
    so dass sie rasch das Weite suchten.
    Den Wölfen blieb nur noch zu fluchen,
    da heut die Beute ausgeblieben.

    Sie wurden durch den Hund vertrieben.
    Und die Moral von der Geschicht:
    Unterschätze schwarze Schafe nicht.

    Liebe Grüße an alle Schafe in Suderburg.

  5. WB

    „Samtgemeindebürgermeister als dünnhäutig und wundgescheuert“ ist meines Erachtens gut getroffen. Ja, wenn man den Leserbrief liest kann ich zu keiner freundlicheren Feststellung kommen.
    Im Leserbrief steht doch nichts weiter als die positive Feststellung, dass die Studenten in Suderburg die Steuerkraft erhöhen und die Gemeinde, als negative Feststellung, sie mit einer Zweitwohnsitzsteuer nochmal zusätzlich belastet. Eine Steuer, die in der Regel nur Touristikorte erheben, weil hier viele Besitzer von Zweitwohnungen eben nicht ganzjährig in der Gemeinde anwesend sind.
    Traut sich die Verwaltung nicht, richtig zu stellen, dass der Beschluss von der Selbstverwaltung, sprich Gemeinderat, gefasst wurde?
    Oder wurde die Selbstverwaltung etwa von der Verwaltung gedrängt und jetzt schlägt das schlechte Gewissen?
    Ob hier wohl im Vorwege die Rollen zwischen Lilje und Schulz abgesprochen waren?

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