Für uns Kinder war es damals eine kleine Sensation: Anfang der 60er Jahre traf man im Dorf und in der Feldmark regelmäßig auf dunkelhäutige Männer. „Mama, warum ist der Mann so schwarz“, war eine Frage, die sicher viele Mütter häufiger erklären mußte.
Einen Fernseher gab es noch nicht in jedem Haushalt und der „Mohr“ im Struwelpeter galt uns eher als Fabelwesen.
In dieser medienarmen, verstaubten Zeit, in der der damalige Bundespräsident Heinrich Lübcke bei einem Staatsbesuch 1962 in Liberia seine Rede noch mit „Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger“, begonnen haben soll, (wofür es aber keinen offiziellen Beleg gibt), kam die „bunte“ Völkerwelt nach Suderburg, um sich an der Wiesenbauschule in Wasserbau und Kulturtechnik ausbilden zu lassen.
Wahrscheinlich ist das auch eine Erklärung dafür, warum die Suderburger mit fremden oder anders aussehenden Menschen ganz selbstverständlich und ohne erkennbare Berührungsängste umgehen können. (ap)
Hier ein Bericht von damals:
„Morgen fliegen sie in ihre afrikanische Heimat Tansania zurück…
Für zwei Jahren waren sie in Deutschland und davon ein Jahr in Suderburg. Diese Acht Mitarbeiter des Ministeriums für Ernährung Landwirtschaft und Forsten. Sie gehören zur Sparte Wasserbau und Kulturtechnik und wurden hier an der Wiesenbauschule in Suderburg beruflich weitergebildet. Die Carl-Duisberg-Gesellschaft betreute diese Weiterbildung.
Nach einem viermonatigen Schnellkurs für Deutsch wurden sie beratenden Ingenieuren und einschlägigen Firmen zugeteilt, anschließend besuchten die acht jungen Afrikaner einen zweisemestrigen Sonderlehrgang an der Staatlichen Ingenieurschule für Wasserbau und Kulturtechnik in Suderburg. Das war ein Versuch, dessen Durchführung und Ausgang völlig ungewiß war. Neben ihrer Muttersprache > Suaheli < sprachen die Praktikanten einigermaßen fließend Englisch, die Kenntnisse in der deutschen Sprache waren anfangs sehr schwach. Um hier etwas nachzuhelfen, wurden die Afrikaner mit deutschen Studierenden zusammen untergebracht. Durch den ständigen Kontakt mit den Studierenden und der Bevölkerung, die die Afrikaner mit großer Selbstverständlichkeit aufnahmen, hatten sich die Sprachkenntnisse bald gebessert.
Heute, nach seinem erfolgreichen Abschluß kann er als vollauf gelungen bezeichnet werden.
Das erwies sich beim Abschlußabend im Gasthaus Pommerien zu dem die Landesregierung die Lehrkräfte und die Praktikanten, Bürgermeister und Gemeindedirektor und die Suderburger Quartiergeber der afrikanischen Gäste eingeladen hatte. Bei dieser offiziellen Verabschiedung der Afrikaner überreichte der Direktor der Ingenieurschule, Oberbaurat Darnrath, den Lehrgangsteilnehmern Zeugnisse, in denen das für die Leistungen des einzelnen gefundene Prädikat amtlich bescheinigt wird. Die Teilnehmer waren sehr fleißig und mit ehrlichem Eifer bei der Arbeit. Sie wollten lernen, um möglichst viel Wissen in ihre Heimat mitnehmen. Die Zensuren lauten durchweg auf gut oder befriedigend.
Das ist ein ausgezeichnetes Ergebnis, wenn man berücksichtigt, mit welchen sprachlich und menschlich bedingten Schwierigkeiten Studierende wie Lehrer sich auseinandersetzen mußten. Heute, da man die Erfahrung aus zwei Semestern hat, kann man sagen, die nächsten haben es sicher leichter.
Oberbaurat Damrnth, der Direktor der Staatlichen Ingenieurschule konnte zu dem Abschiedsabend neben den Praktikanten mit deren Quartiergeber begrüßen. Sein Dank galt allen, die zum Gelingen des Lehrgangs beigetragen haben. Er schilderte, wie es zu seiner Durchführung gekommen ist. Der ursprüngliche Gedanke, die Praktikanten als Gasthörer an den Vorlesungen teilnehmen zu lassen, war wegen der sprachlichen Schwierigkeiten nicht zu verwirklichen. Dank der Bereitschaft der Lehrkräfte war es möglich, einen Sonderkurs einzurichten. Im Zusammenwirken mit den zuständigen Ministerien und der Universität Göttingen wurde ein Konzept festgelegt. Die zweite Schwierigkeit, die der Unterbringung der afrikanischen Gäste am Ort, konnte durch den Einsatz der Studierenden und die Bereitschaft der Quartiergeber überwunden werden. Direktor Damrath vertritt die Ansicht, daß die für den Lehrgang vorgeschriebenen 20 Wochenstunden zu wenig seien. 36 Wochenstunden halte er für unerläßlich. Den Praktikanten bescheinigte er, daß sie mit großem Fleiß und Eifer mitgearbeitet haben. Dieses Streben beflügelte auch die Dozenten, den Schülern das Bestmöglichste auf den Weg zu geben. Sein Wunsch sei, daß sie die Kenntnisse, die sie hier erworben haben, in ihrer Heimat zu deren Wohle verwerten können und das sie Suderburg und die Ingenieurschule nicht vergessen.
Der Vertreter der Carl-Duisberg-Gegellschaft, Brückner, bekannte, daß er als Betreuer der Praktikanten angesichts vieler Schwierigkeiten anfangs skeptisch gewesen sei: Der Lehrgang sei ein Experiment gewesen, aber er zweifle jetzt nicht mehr, daß es ein Erfolg ist. Sein Dank galt den Lehrkräften der Ingenieurschule und der Suderburger Bevölkerung. Nach allem was er gehört habe, fühlten sich die Afrikaner in Suderburg wohl: „Ich weiß, daß diese afrikanischen Freunde hier ein Stück Heimat zurücklassen.“
Als Vertreter der niedersächsischen Landesregierung erläuterte Oberregierungsrat Dr. Pasch die Rolle Niederaachsens bei der Durchführung der Maßnahmen für die aufstrebenden jungen Staaten auf dem Gebiet der Aus- und Fortbildungshilfe. Im Falle dieser acht Praktikanten aus Tansania, die gebildet werden sollten, sei man erst ratlos gewesen. Dank der Unterstützung durch die Ingenieurschule sei es aber doch gelungen, ein vernünftiges Ausbildungsprogramm durchzuführen. Dafür sprach er allen Beteiligten den Dank der Landesregierung aus.
Besondere Anerkennung zollte auch er den Quatiergebern, die den afrikanischen Gästen in vorbildlicher Weise familiären Rückhalt gegeben haben. Sein Dank galt weiter den Studierenden der Ingenieurschule, die sich ihrer afrikanischen Kommilitonen in sehr idealer Weise angenommen haben.
Das gute Einvernehmen zwischen der Suderburger Bevölkerung und den Gasthörern aus Tansania kennzeichnete Bürgermeister Burmester auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft weiter mit den Worten: „Wenn sie hoch elf Monate hier wären, würden sie sogar plattdeutsch können.“
Der Sprecher der Praktikanten, Herr Jacob Mwakalinga dankte im Namen seiner Kameraden allen, die sich hier in Suderburg um sie bemüht haben: „Was wir hier gelernt haben, werden wir zum Aufbau unserer Heimat einsetzen können. Wir meinen, daß dieser Abend die beste Gelegenheit für uns ist, der Niedersächsischen Regierung, der Ingenieurschule, der Carl-Duisburg-Gesellschaft, den Suderburgern und allen Deutschen zu danken. Herrn Direktor Damrath, Ihnen ein „Asante Sana“ für den Sonderlehrgang, den Sie hier für uns an der Ingenieurschule eingerichtet haben und der von den Dozenten so hilfreich unterstützt wurde. Wir hoffen, daß wir nicht die letzten sein werden, die das Glück hatten in Niedersachsen zu studieren. Es würde uns eine große Freude sein, wenn noch viele Afrikaner hier ausgebildet werden können“. Mein letztes Dankeschön gilt unseren Wirtsleuten, die uns zwei Semester lang so freundlich aufgenommen haben und die immer Verständnis für unsere kleinen Sorgen hatten und uns geholfen haben.
Es war für alle nicht einfach, so waren sich alle verantwortlichen einig, der Direktor der Ingenieurschule, Oberbaurat H. Damrath, der Kulturbauoberlehrer A. Baumgarten, der Vertreter der Carl-Duisberg-Gesellschaft, Bückner, Oberregierungsrat Dr. Pasch vom Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft und Verkehr, aber schon bei diesem 1. Kursus ganz ohne Erfahrung lief alles einigermaßen glatt ab.“
Gerhard Müller
Bilder: Ingelore Kuhlmann