Die Asylbewerber kommen: Vorurteile und Ängste

So ein bisschen mit Vorurteilen sind wir ja wohl alle besetzt: geprägt durch Eltern, das soziale Umfeld und die Zeit, in der wir aufgewachsen sind. Ein Vorurteil an sich ist auch erstmal nichts Schlimmes, solange es das ist, was sich im Wort verbirgt: ein vorläufiges vor einem abschließenden Urteil. Eine Meinung, die überprüft und revidiert werden kann.

In meiner frühsten Kindheit, gut zehn Jahre nach dem Ende des Krieges, war Deutschland noch voll mit Flüchtlingen aus den ehemaligen Ostgebieten. Wir wohnten neben einem großen Kloster und Gutshof am Rande des Harzes. Die Räume des Gutes waren vollgestopft mit Menschen. Hinter halbmeterdicken Wänden lebten zusammengepfercht Familien, oder das, was nach dem Krieg noch von ihnen übrig war. Meist mehrere Generationen, auf engstem Raum, unter ärmsten Verhältnissen. Die meisten waren gutmütig und freundlich, aber viele auch verstört oder traumatisiert durch schreckliche Erlebnisse während des Krieges. Aufgrund dieser Lebensumstände gab es dann manchmal natürlich auch Zank und Streit.

Auf der vor unserem Haus entlangführenden Straße war wenig Betrieb. Es gab kaum Autos. Um so auffälliger waren dadurch Trecks verwegen aussehender, hölzerner Wohnwagen von Pferden gezogen. Ihre mit Eisen belegten Holzräder konnte man, neben dem Klipp-Klapp der Pferdehufe, schon von Weitem hören.
Regelmäßig zogen diese Karawanen gemächlich die Straße entlang. Auf den Kutschböcken hockten verhärmte Kutscher mit Schlapphüten und dreckverschmierte Kinder mit abgerissener Kleidung. Noch bevor sie unseren kleinen Ort erreicht hatten, erschollen Warnrufe aus den Häusern: „Zigeuner“!!

Hastig, fast panisch, wurden dann die Kinder vom Spielen und die Wäsche von der Leine in die Häuser geholt. Von dort beguckten wir uns das reisende Volk neugierig und mit unwohlem Gefühl durch die Fensterscheiben. Manchmal versteckten wir uns auch unter dem Tisch: „Zigeuner klauen nämlich nicht nur wie die Raben, sondern sie nehmen auch die Kinder mit“, so hieß es. Und nicht nur ich war damals überzeugt, dass das stimmt… wie sollte ich es auch anders wissen?

Genauso überzeugten mich die Schauermärchen von den im Dschungel bei Affen und Elefanten lebenden Menschen. Sie tanzten den ganzen Tag laut stampfend und blutrünstig im Kreis herum, oder saßen gemeinsam am dampfenden Kessel, in dem ein armer Wicht langsam vor sich hin garte: „Neger“ waren furchteinflößende, schwarze Menschen mit großen, weißen Zähnen und weiß funkelnden Augen. Sie frassen Menschen, am liebsten Weiße, und zogen sich ihre Knochen durch die Nase!! Nicht mal lustig machen durfte man sich über sie, sonst drohte einem der Struwelpeter „…bis über‘n Kopf ins Tintenfass, tunkt sie der große Nikolas“ – ebenfalls ein Schwarzer…

Zu diesen vorurteilsbesetzten Zeitgenossen gesellten sich im Laufe der Jahre aus allgegenwärtigen Annekdoten raffgierige Juden; permanent faule und ständig müde Latinos; messerstechende und knoblauchstinkende Türken; arme, dumme Inder; marodierende rumänische Diebesbanden; arrogante Engländer; froschfressende Franzosen, massenmordende finstere Gestalten vom Balkan; versoffene und schwermütige Russen; dusselige Zonentussis; undurchschaubare Chinesen; islamistische Araber, die Ungläubigen zum Zeitvertreib die Birne abschlagen und sich zum Vergnügen selber in die Luft sprengen; und, und, und…
Genau genommen, DER ideale Nährboden für eine Karriere als Rassist und Ausländerfeind.

Aber genauso wie diese Vorurteile auftauchten, verschwanden sie dann auch wieder. Abgeräumt durch das reale Leben, durch die Neugierde auf Fremdes, durch Dinge die ich dazulernen und Menschen die ich kennenlernen konnte. Daraus entstanden eigene Urteile, Urteile wie sie sich jeder selber bildet, die Vorurteile widerlegen.

Dabei macht es einem die nicht abreißende Flut verstörender Bilder im Fernseher, blutgetränkter Berichte in Rundfunk, Magazinen, Zeitungen und Polizeimeldungen nicht leicht. Sie sind ja eher geeignet die unterschiedlichsten Ängste zu bestärken und die Lust auf ein eigenes Urteil durch persönliche Erfahrungen verschwinden zu lassen. Mord und Totschlag, Raub und Vergewaltigung in vielen Teilen der Welt findet natürlich niemand gut und vor der Haustür möchte man das alles erst recht nicht haben.

Und es gibt sie ja, die Charaktere die Dreck am Stecken haben. Die Meldungen kommen nicht von ungefähr. Aber sie treffen nur auf einzelne Individuen zu, auf bestimmte Gruppen oder Aktivisten. Für alle anderen, als die in diesen Berichten Genannten, stimmen sie nicht – und das muss im gleichen Atemzug gesagt werden. Jeder sollte sich hüten wegen einzelner oder mehrerer Idioten ganze Völker zu verurteilen.

Es gibt die anderen und sie sind die übergroße Mehrzahl auf den Bildern: Menschen die vor Kriegen, Grausamkeiten und Hunger fliehen, vor Dingen die uns einen Riesenschrecken einjagen und die auch sie nicht vor ihrer Haustür wollten.
Denen muss geholfen werden, schnellstens und unkompliziert. Vor dieser Verantwortung dürfen wir uns nicht drücken. Auch wenn wir nicht allen helfen können, wir müssen unseren Anteil leisten:

Rund 200.000 Flüchtlinge wurden 2014 in Deutschland registriert. Im Jahr 2015 sollen es nach den unterschiedlichen, offiziellen Prognosen: 300.000 – 550.000 werden. Allein die Differenz in den Prognosen spiegelt wider, wie schwierig es werden kann.
1 Milliarde Euro hat die Bundesregierung für die Flüchtlingshilfe in den Haushalt eingestellt und geht dabei von 300.000 aus. Schon für diese Anzahl ist das viel zu wenig Geld, meinen Kritiker. Und was passiert, wenn es tatsächlich 550.000 werden?

Verteilt man die Anzahl der Flüchtlinge gleichmäßig auf die Bevölkerung in Deutschland (ca. 80 Mio. Einwohner), hätte 2014 unsere Samtgemeinde (rd. 8.000 Einwohner) 20 Flüchtlinge aufnehmen müssen. 2015 kommen, je nach Prognose, zwischen 30 und 55 hinzu, zusammen sind das dann 50 bis 75 Menschen.
Fairerweise müssten sogar noch die berücksichtigt werden, die uns in den Jahren davor nicht zugewiesen wurden. Dann käme man insgesamt auf 100 – 120 Flüchtlinge – wenn es gerecht zugehen würde.

Wie gehen wir vor Ort damit um? Was können wir leisten? Schaffen wir es diese Menschen zu integrieren oder werden wir sie isolieren? Wollen wir in Sachen Anzahl überhaupt gerecht sein?

Auf verschiedenen Rats- und Ausschusssitzungen der Gemeinde/Samtgemeinde Suderburg stand das Thema „Unterkünfte“ auf den Tagesordnungen. Der Landkreis Uelzen hatte die Samtgemeinde gebeten, Wohnraum zur Anmietung nachzuweisen. Damit ging erst einmal ein Gerätsel los: wem gehört eigentlich was… wer muss, kann, will überhaupt etwas tun oder anbieten.
Erschwerdend kam hinzu, das hinter der Bitte des Landkreises Bedingungen standen: Flüchtlinge und Asylanten sollen ausschließlich in den Grundzentren untergebracht werden. Bei uns also nur im Ort Suderburg. Der Preis spielt für den Landkreis eine Rolle, die Mietdauer ist dagegen wichtig für die Gemeinde: Zumindestens die notwendigen Investitionen müssen „reinkommen“ – unter zwei Jahren geht nichts.

Vorab hatte der Landkreis bereits gemeindliche Wohnungen ausgeschlossen, weil sie ihm nicht geeignet schienen. Übrig blieb lediglich das Haus am Fastenberg (Titelfoto), in der Vergangenheit bereits Unterkunft für Asylanten. In ihm finden 20-25 Menschen Platz.

Zusätzlich hatte der Landkreis nach Grundstücken gefragt, auf denen er Containerunterkünfte errichten könnte. Ein Gemeindegrundstück am Gewerbepark kam dafür nicht in Frage, es liegt zu weit außerhalb des Zentrums. Zur Diskussion standen Grundstücke in Wohnsiedlungen, z.B. am Tannrähmsring oder Am Alten Sägewerk, das Wiesengrundstück neben der Fachhochschule (am Boule-Platz) und das Hofgrundstück links neben der Asylantenunterkunft am Fastenberg. Hier gab es dann schon Proteste der Anlieger, sie haben Angst vor einem „Ghetto“, vor zuviel „Fremden“ auf einem Fleck.

Fastenberg2

Es war richtig und muss unbedingt erlaubt sein dass zu äußern oder gegen etwas Stellung zu beziehen vor dem man Ängste hat – ohne gleich in die „Rechte Ecke“ gestellt zu werden. Nur mit Einsicht und dem Wohlwollen der unmittelbar Betroffenen wird ein vernünftiges Zusammenleben möglich sein.
Nicht nur Flüchtlinge und Asylanten sollen sich in einem freundlichen Umfeld sicher fühlen, auch die Suderburger müssen sorgenfrei mit ihnen leben können.

Islamisten sind derzeit eine reale Bedrohung, Menschen die vor ihnen flüchten nicht. Moslems, Sinti und Roma oder „Farbige“ – egal welcher Herkunft, Hautfarbe oder welchen Glaubens sollten in echter Not eine reele Chance bei uns haben. Was sie dann daraus machen haben sie selbst mit in der Hand.

Ideal wäre es sicher, wenn wir gemischten Gruppen und Familien mit Kindern, verteilt im Dorf, Zuflucht und Unterkunft bieten könnten. Aber eine Einflussnahme darauf ist laut Landkreis nicht möglich. Werden es in der Mehrzahl junge Männer unterschiedlicher Herkunft und dem Wunsch nach Arbeit, sind Probleme nicht auszuschließen. Arbeit gibt es hier nicht, Langeweile und Frust steigern das Konfliktpotential. Dann braucht man Regeln, einfach und konsequent wie beim Fußball: Für ein Foul gibt es eine Ermahnung, bei einem Weiteren folgt die gelbe Karte, danach kommt Rot mit Platzverweis. Das muss verlässlich sein – für alle Betroffenen.

Nur wenn diese Dinge besprochen und festgelegt sind, ist mit der Unterstützung aus dem Dorf zu rechnen. Und deshalb ist es gut, dass Verwaltung und Politik am 13. Juli ab 19.00 Uhr einen Infoabend zum Thema in Luthers Carpe Diem veranstaltet.

Hoffentlich nehmen ihn viele wahr.

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Ein Kommentar

  1. Martin Tuttas Antworten

    Was kann unsere Gemeinde für Flüchtlinge tun?
    Fortsetzung (siehe Gemeindebrief Nr.2/2015 )

    Seit Erscheinen des letzten Gemeindebriefes hat sich eine Arbeitsgruppe- Arbeitstitel „Welcome-Gruppe“- gebildet, die konkrete Begegnungsmöglichkeiten und Inhalte der Arbeit mit und für Flüchtlinge in unserer Gemeinde vorbereiten und koordinieren möchte.

    Alle Menschen, die bereit sind, Ideen, Zeit und Energie für z. B. diese Aufgaben

    – Vermittlung von Grundkenntnissen in der der deutschen Sprache
    – Kennenlernen und Bekanntmachen mit dem Ort Suderburg,seiner Umgebung und Infrastruktur wie Einkaufsmöglichkeiten, Vereine, medizinische Versorgung u.v.m.
    – Aufbau eines Netzes von sich „kümmernden Bezugspersonen“

    einzubringen, sind eingeladen zu einem ersten Gesprächsabend am
    Mittwoch, d. 5. August 2015 um 19.00 Uhr im Pfarrhaus.

    Weitere Treffen sind für mittwochs nach Absprache geplant.
    Infos bei Martin Tuttas: 05826/9509494
    Rele Vogt-Sest: 05826/7518

    Hilfreich sind auch die Infos der Diakonie:

    https://diakonieinsuderburg.wir-e.de/

    https://diakonieinsuderburg.wir-e.de/Brauchbares

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