Die Leckage in einer Biogasanlage im Landkreis Gifhorn entwickelt sich zu einer massiven, lokalen Umweltkatastrophe im Bereich Bad Bodenteich. Offenbar ist 36 Stunden lang Gärsubstrat ungehindert in die Aue geflossen und hat zu ihrer massiven Verunreinigung und des Seepark-Sees in Bad Bodenteich geführt. Mit verschiedenen Maßnahmen, unter anderem der permanenten Zwangsbelüftung des Seepark-Sees, hat die Feuerwehr versucht größeren Schaden abzuwenden – wie es scheint umsonst.
Nach Angaben der Jagdgenossenschaft und der Pächter der Fischereirechte wurde im betroffenen Gebiet der komplette Fischbestand getöten. Andere Tierarten dürften ebenfalls ausgerottet sein, der Schaden für Mensch und Natur ist noch nicht abschätzbar.
Soeben wird nun ein „Brandbrief“ der Bad Bodenteicher Tierärztin Dr. Birgit Janßen bekannt, die auch Mitglied im Rat und Samtgemeinderat ist. Ihre Erkenntnisse sind alarmierend!
In ihrem fundierten Brief weist sie auf die Gefährdung der Gesundheit von Mensch und Tier hin und fordert dringend weiterreichende Untersuchungen und Analysen.
Gerichtet ist der Brief an Gemeindedirektor A. Kahlert, die Samtgemeinde Aue, Herrn H. Schulze – Leiter Ordnungswesen und als Verteiler an die zuständigen Stellen der untere Wasserbehörde usw., hier der Text:
[toggle state=“open“ title=“Betreff: Verunreinigung des Seepark-Sees durch ausgetretenes Gärsubstrat“]
Sehr geehrte Damen und Herren,
aus der Zeitung erfuhr ich von einer erheblichen Verunreinigung des Seeparksees durch in Bokel ausgetretenes Gärsubstrat einer örtlichen Biogasanlage.
Soweit am Freitagvormittag noch möglich, habe ich Erkundigungen bei den zuständigen Personen bei der unteren Wasserbehörde des Landkreises Uelzen, beim Gesundheitsamt in Uelzen, beim Veterinäramt Uelzen, bei der Polizei und bei Mitarbeitern des Ordnungsamtes und der Kurverwaltung des Fleckens eingeholt.
Offenbar wurde bereits Dienstagmorgen vom Verursacher ein Schaden an der Anlage festgestellt, der Austritt von Gärsubstrat aber erst Mittwochabend konstatiert und beendet.
Erschwerend für den Flecken ist die Tatsache, dass das Schadensereignis im Landkreis Gifhorn eingetreten ist, der Flecken aber mit den Konsequenzen hieraus fertig werden muss. Ich frage mich, ob während eines Zeitraumes von 36 Stunden tatsächlich ‚nur‘ 5.000 l Substrat ausgelaufen sind, oder ob es vielleicht auch deutlich mehr gewesen sein könnte. Zumindest hat die Menge ausgereicht, um (nach Angaben der Jagdgenossenschaft und der Pächter der Fischereirechte) im Bereich der Aue den kompletten Fischbestand zu töten.
Der unwiderruflich für die gesamte Flora und Fauna des Gewässers und seiner Umgebung eingetretene Schaden ist immens und kann zurzeit gar nicht abgeschätzt werden.
Was bedeutet dies aber für den Flecken, seine Bewohner und seine Gäste?
Bei meinen Nachfragen ging es mir vor allem um die Möglichkeit der Beurteilung der Gefährdung der Gesundheit von Menschen und auch Tieren, die den Seeparksee für Sport, Freizeit und Erholung nutzen. In meinen Telefonaten musste ich feststellen, dass die in Auftrag gegebenen mikrobiellen Untersuchungen sich nur auf die Standarduntersuchungen für Badewasserqualität beschränken, d.h. die Feststellung des Keimgehaltes an Fäkalkeimen (Coliforme Keime und Enterokokken), oder auf den Sauerstoffgehalt bzw. den chemischen Sauerstoffbedarf (CSB). Die genannten Keime sind hier aber nicht das Problem, sondern die bei der in einer Biogasanlage üblichen Gärung unter Sauerstoffabschluss besonders begünstigten Clostridien. Hier ist insbesondere das Clostridium botulinum zu nennen, dass eines der gefährlichsten Toxine (Gifte) überhaupt produziert. Die Toxine wirken in Mikrogramm-Konzentrationen als starkes Nervengift, das im akuten Fall binnen Stunden zu Muskellähmungen, zur Lähmung der Atemmuskulatur und somit zum Tode führen. Chronische Vergiftungen treten ebenfalls auf und sind durch jahrelanges Siechtum (bei Mensch und Tier) gekennzeichnet. Clostridien anderer Stämme sind als Erreger weiterer gefährlicher Erkrankungen wie Milzbrand und Tetanus bekannt. Das Gefährliche an diesen Erregern ist neben der Toxinbildung ihre Fähigkeit, unter ungünstigen Bedingungen Sporen auszubilden, die jahrelang ruhen können, fast unzerstörbar sind und dann wieder auskeimen, um eine neue Clostridienpopulation auszubilden. Das gelingt den Sporen von Cl. botulinum zum Beispiel sogar bei der Herstellung von Fleischkonserven, die ja abgekocht werden. Nach Jahren kommt es zum Fleischverderb und zur sogenannten Bombage der Konserve durch das Wachstum und die Gasbildung von Cl. botulinum. – Da in der Biogasanlage auch menschliche Essensreste, somit auch Fleisch, vergoren werden, findet Cl. botulinum hier ideale Vermehrungsbedingungen.
Ich habe bei meinen Erkundigungen erfahren, dass das Gärsubstrat nach der sogenannten ‚Hygienisierung‘, also der Keimabtötung durch kurzfristige Erhitzung, ausgetreten sein soll. Nach den eben genannten Fakten über Clostridien ist mir diese Maßnahme keine Beruhigung. Sporen und auch Clostridien können immer noch vorhanden sein, und aus der Rinderhaltung sind Fälle von chronischen Vergiftungen und Todesfällen durch Verfütterung von Futter bekannt, welches von Flächen stammte, die mit Gärsubstraten aus Biogasanlagen gedüngt wurden. Möglicherweise hat der Seeparksee durch diese Kontamination eine ungeahnte Keim- und Sporenbelastung erfahren.
Es geht mir darum, möglichen Schaden von der Bevölkerung abzuwenden bzw. mindestens eine Risikoabwägung vornehmen zu können, und dazu ist eine Untersuchung auf die genannten Keime, ihre Sporen oder auch das Botulinum-Toxin selbst – soweit das technisch möglich ist – unbedingt erforderlich. Die Untersuchung ist deshalb schwierig, weil Clostridien nur unter Luftabschluss wachsen. Deshalb leben sie auch besonders gern im Schlick des Uferbereiches von natürlichen Gewässern, womit wir wieder beim Seeparksee wären. Dort zufällig angeschwemmte, verendete Wasservögel oder derzeit auch tote Fische bilden die ideale Nahrungsgrundlage für Clostridium botulinum. Spielende Kinder oder auch vorbeilaufende Hunde könnten auf diese verendeten Tiere aufmerksam werden und womöglich schwerste Vergiftungen erleiden. Ich will nicht abstreiten, dass diese Risiken jederzeit bestehen, denn Clostridien sind ubiquitär. Aber durch die Kontamination mit Gärsubstrat sind diese Risiken sehr viel wahrscheinlicher geworden.
Neben den genannten konkreten Gesundheitsgefährdungen für Mensch und Tier sehe ich eine weitere Gefahr für das Gewässer insgesamt, und zwar die Eutrophierung. Hiermit wird ein Vorgang bezeichnet, bei dem es in einem Gewässer durch starken Eintrag von Nährstoffen (hier: im Gärsubstrat enthaltene Düngestoffe) zu überstarkem Algenwachstum und einem Verbrauch des im Wasser enthaltenen Sauerstoffs kommt. Wenn die Algen nicht mehr genug Sauerstoff zum Leben haben, sterben sie massenhaft ab und lassen das Gewässer ‚kippen‘. Es bleibt dann nur noch eine faulige, stinkende Brühe übrig, in der es auf lange Zeit kein Leben mehr gibt. Dieser Vorgang kann einige Zeit in Anspruch nehmen und wird auch von bestimmten Wetterbedingungen begünstigt, wie warmes, regenarmes Sommerwetter.
Als Tierärztin und Rats-/Samtgemeinderatsmitglied fordere ich daher eine umfassende Aufklärung der Schadenssituation durch geeignete mikrobielle Untersuchungen. Meines Erachtens wäre es sinnvoll, die Quelle des Schadens, nämlich das Substratbecken, für Probenentnahmen zu nutzen, damit man eine realistische Vorstellung von einer möglichen Keim-/Sporenkontamination bekommt. Hier hat man die vollständige Keimpopulation beisammen, die nicht durch Verdünnung, Vermischung oder andere Vorgänge verändert wurde. Eine Zusammenarbeit mit dem Landkreis Gifhorn halte ich für unbedingt erforderlich. – Die Gefahr der Eutrophierung muss ebenfalls durch geeignete, sich wiederholende Untersuchungen überprüft werden. Auch die an den Abfluss des Seeparksees wieder anschließende Aue muss unbedingt untersucht werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Birgit Janßen
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