Fusion: Der Kopf sagt ja, der Bauch sagt nein…

oder: Die Abstriche der Tante Espe D. – eine Parabel

„Warum?“ hatte der Mann gefragt, „es hat doch vierzig Jahre funktioniert“, und ratlos geguckt.

„Sieh dich doch an“, antwortete sie ihm, „das Hemd ist fleckig, die Hose abgewetzt, du kommst langsam ganz schön runter…“

Espe D. war seine alte Tante und überraschend aufgetaucht. Nun stand sie da mit ernster Miene. Ihr Blick schweifte durch den Garten. Ungeschnittene Büsche, bunt blühendes Unkraut, dass sich sacht im Wind bewegte. Unwillig zuckten ihre Mundwinkel.
„Und Deinen Haushalt führst du auch nicht gut. Schulden hast Du, kaum Einnahmen. Wohin soll das führen? Du brauchst Hilfe, sieh es doch ein…“

„Aber, äh…“ stammelte der Mann und räusperte sich verlegen.
„Nichts aber, ich hab‘ eine Lösung für dich“, unterbrach ihn Espe, „einen Ort, da kannst du unterkommen, bist versorgt und brauchst dich um nichts mehr kümmern. Ich hab schon gesprochen mit Toto Takul, dem Chef. Die würden Dich nehmen… und deine beiden kleinen Brüder gleich mit“.

„Aber meine Brüder… was werden die sagen?“ murmelte der Mann und auf seinem Gesicht erschienen Sorgenfalten. „Du weißt doch was für ein Theater wir in den letzten Jahren hatten“.
„Selbst Schuld“ zeterte Espe, „ihr hättet euch ja einigen können. Hättet in ein Haus ziehen können, dann wären die Kosten niedrig und Zuschüsse vom Amt hätte es auch noch gegeben. So hockt jeder auf seinem und keiner kommt mehr richtig klar…“
Sie schüttelte den Kopf: „ne, ne,… der Takul meint, Platz hätte er genug, aber wenn die nicht wollen, soll’n sie bleiben wo der Pfeffer wächst. Dann nimmt er dich gern auch alleine…“

„Aber mein Garten“, brummelte der Mann.
„Papalapap“, unterbrach ihn Espe, „einen Garten haben die da auch. Sogar mit Gärtner. Da brauchst du dich um nichts zu kümmern und alles ist immer in Ordnung“.
„Aber ich wühl doch so gerne im Garten. Und was ist mit Kochen? Ich probier doch manchmal neue Rezepte aus, und so… Und dann das Üben, mit unserer Combo im Keller…“. Dem Mann wurde langsam unwohl bei dem Gedanken, alles aufzugeben, was ihm lieb und wichtig war.
„So’n Quatsch“, meinte Espe und ihre Stimme bekam diesen Unterton. Immer, wenn sie Dinge unnütz und überflüssig fand, war der zu hören. „Die kochen da jeden Tag, und das Essen soll wirklich nicht schlecht sein. Und für die Musik hast du doch deine Stereoanlage. Ein paar Abstriche muß man eben machen, wenn man ins Heim geht. Aber die haben auch einen Heimrat, da kann man sich beteiligen und bei anderen Dingen mitmachen. Da wird sich schon was finden.“

„Aber muß es denn unbedingt das Heim sein“, zweifelte der Mann, „da gibt es doch noch die Idee mit der Alters-WG. Mit drei oder vier Kumpels zusammen leben und ein bischen was auf die Beine stellen. Jeder kann was tun und sich einbringen und man kann sich schließlich auch gegenseitig helfen wenn’s mal eng wird…“

„Nun red‘ nicht so’n Stuss“, zischte Espe, „da kommt doch sowieso nichts bei raus. Innerhalb kürzester Zeit hättet ihr euch in den Plünnen. Ne, ne mein Lieber, das mit dem Heim hat schon seine Vorteile. Alles zentral und mit kurzen Wegen. Und die passen drauf auf das keiner Mist baut. Ne, laß mal gut sein, da bist du viel besser aufgehoben. Und Taschengeld gibt es auch. Dann könnt ihr alle zusammen einmal im Jahr in die große Stadt fahren und euch ein bischen was ansehen. Überleg mal, das ist doch schön…“
„Hm…“ brummelte er, „in die Stadt kann ich jetzt doch jederzeit fahren. Ich kann doch tun und lassen was ich will, Espe.“
„Ohne Geld kannst Du garnichts tun, mein Lieber. Du kannst nur alles lassen!“ Und damit drehte sie sich um und verschwand durch die Tür.

Warum? Warum bloß ins Heim, dachte der Mann und kraulte seinen Kater, der entspannt auf dem Sessel lag. Warum kann ich nicht einfach selbst entscheiden was für mich gut ist, Kumpel.

Der Kater blinzelte kurz, räkelte sich und schnurrte. Aber eine Antwort war das auch nicht.

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